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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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abholt.«
    »Nein, noch nicht. Erst wenn Sie Ihre Aussage gemacht haben.«
    »Ja, und wer soll mich dann abholen?«
    »Ein Streifenwagen wird Sie nach Hause bringen.«
    »Ich warte jetzt schon seit einer Stunde«, sagt sie, mit gekreuzten Beinen an den Türrahmen gelehnt. Das Mädchen hat das Gesicht einesLastwagenfahrers, aber jetzt versucht sie, das Beste daraus zu machen. Trotzdem kann ihr Pellegrini nichts abgewinnen. Er sieht, dass ihm Landsman von der anderen Seite des Büros anzüglich zugrinst.
    »Sie sind sicherlich bald dran.«
    Das Mädchen verzichtet auf jeden weiteren Verführungsversuch. Sie kehrt zu ihrer Freundin auf der grünen Vinylcouch des Aquariums zurück, schlägt die Beine übereinander und zündet sich eine neue Zigarette an.
    Sie ist im Präsidium, weil sie sich dummerweise in der Gartenwohnung im Purnel Village Complex am Gatehouse Drive aufhielt, als ein jamaikanischer Drogendealer namens Carrington Brown einen anderen Jamaikaner empfing, einen gewissen Roy Johnston. Auf ein paar einleitende Sätze folgten erst eine Reihe von im weichen jamaikanischen Akzent vorgebrachten Anschuldigungen und dann eine ganze Menge Revolverkugeln.
    Nur wenige Minuten, nachdem die Leitstelle Pellegrini und seinen Sergeant in die Gold Street geschickt hatte, bekam Dick Fahlteich, der Detective mit dem Bantamgewicht und dem schütteren Haar, ein altgedientes Mitglied in Landsmans Team, den Einsatz am Gatehouse Drive. Als er eintraf, fand er Roy Johnston tot im Wohnzimmer, mit mehr als einem Dutzend Schusswunden in jedem nur erdenklichen Teil seines Körpers. Sein Gastgeber Carrington Brown war mit vier Einschüssen in der Brust auf dem Weg in die Notaufnahme des University Hospital. Einschusslöcher waren in den Wänden, Einschusslöcher waren in den Möbeln, und überall lagen Hülsen der .380 Automatik. Hysterische Mädchen schwirrten durch die Wohnung. Fahlteich und zwei Leute von der Spurensicherung brauchen fünf Stunden, um alle Beweismittel einzusammeln.
    So bleibt es Landsman und Pellegrini überlassen, die Zeuginnen im Präsidium zu befragen. Sie gehen die Sache ruhig und nach Vorschrift an. Abwechselnd führen sie jede Zeugin in ein separates Büro, lassen sie ein Blatt mit ihren persönlichen Angaben ausfüllen und nehmen eine mehrere Seiten lange Aussage auf, die die Zeuginnen mit Datum versehen und unterschreiben müssen. Routinearbeit: Pellegrini hat im vergangenen Jahr ein paar Hundert Zeugen befragt, die meisten davon Lügner und kein einziger aussagewillig.
    Diese Prozedur geht eine halbe Stunde später unvermittelt in die zweite, heftigere Phase über, als ein wutschnaubender Landsman die vier Seiten lange Aussage auf den Boden schleudert, die Faust auf den Schreibtisch donnert und das Mädchen im gelben Minirock anbrüllt, mit ihrer hässlichen, verlogenen, von Drogen gezeichneten Visage aus seinem Büro zu verschwinden. Tja, denkt Pellegrini am anderen Ende des Flurs, Landsman braucht nicht lange, bis er Klartext redet.
    »V ERDAMMTE L ÜGNERIN «, schreit Landsman und knallt die Bürotür an den Türstopper aus Gummi. »W OLLEN S IE MICH FÜR DUMM VERKAUFEN ? H ALTEN S IE MICH ETWA FÜR SO DÄMLICH ?«
    »Wo lüge ich denn?«
    »Machen Sie, dass Sie Ihren Arsch hier rausbewegen. Sie kommen vor Gericht!«
    »Weshalb das denn?«
    Landsmans Gesicht verzerrt sich in blanker Wut.
    »S IE GLAUBEN VIELLEICHT, WIR MACHEN HIER S PASS? W IE ?«
    Das Mädchen sagt nichts mehr.
    »Sie haben sich gerade einen Prozess eingehandelt, Sie verlogenes Miststück!«
    »Ich habe nicht gelogen.«
    »Halten Sie die Klappe. Wir werden Sie einsperren!«
    Der Sergeant weist die junge Frau in den kleinen Vernehmungsraum, wo sie sich auf einen Stuhl sinken lässt und die Beine auf den Resopaltisch legt. Der Minirock rutscht in Richtung Taille, doch Landsman ist nicht in der Stimmung zu würdigen, dass sie darunter nichts trägt. Er lässt die Tür halb offen und ruft laut nach Pellegrini.
    »L ASS DIE S CHLAMPE NEUTRONISIEREN !«, brüllt er, ehe er die Schallschutztür schließt und das Mädchen mit der Frage allein lässt, welche Art technischer Folter ihr wohl bevorstehen mag. Eine Neutronenaktivierungsanalyse erfordert lediglich einen schmerzlosen Abstrich der Hände, um Barium- und Antimonpartikel nachzuweisen, die sich beim Abfeuern einer Schusswaffe dort ablagern. Landsman aber möchte, dass es in ihr brodelt, und hofft, dass sie sich in ihrer kleinen Zelle ausmalt, wie jemand sie verstrahlt, bis sie zu
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