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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
Autoren: Am Abgrund
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angeblichen Kirchenräuber von Rotthurn enttarnt zu werden - kurz vor Sonnenaufgang wieder aufgebrochen.
    Doch gerade weil das so war, hatte er auch nichts zu verlieren. Ihn beunruhigte mehr und mehr die Frage, warum er hierher gekommen war. War es wirklich nur der Instinkt eines Vaters und die Sorge um sein Kind gewesen, das Erbe seiner tierischen Vorfahren, wie Michail Nadasdy es immer genannt hatte, ohne daß er jemals wirklich verstand, was damit gemeint war. Möglicherweise irgendeine … Ahnung? Delãny wollte lächeln, doch es mißlang ihm. Sprich niemals abfällig über deine Ahnungen, wisperte Michail Nadasdys Stimme in seinem Kopf. Wer weiß, vielleicht sind diese Botschaften ein Teil von uns, der Dinge sieht, die dem Rest verborgen bleiben …
    Aber vielleicht war nichts davon der Grund, aus dem er hier war. Dennoch blieb es dabei: Es konnte nichts schaden, wenn er die paar Meter weiter ritt und einen Blick auf das unter ihm liegende Borsã warf. Er schnalzte mit der Zunge, um das Pferd zum Weitertraben zu bewegen. Michail Nadasdy hatte ihn gelehrt, um wie vieles besser ein Pferd gehorchte, wenn man es mit viel Liebe und Geduld dazu erzog, auf gesprochene Befehle zu gehorchen, statt ihm mit der Peitsche den Gehorsam einzuprügeln, und er hatte nicht lange gebraucht, um zu begreifen, wieviel Weisheit in diesem Rat steckte - nicht nur in Bezug auf Pferde.
    Oben auf dem Hügel hielt er noch einmal an. Das Borsã-Tal lag unter ihm, wie er es erwartet hatte. Und zumindest aus dieser großen Entfernung heraus betrachtet, schien es ihm fast, als sei die Zeit stehengeblieben.
    Nichts hatte sich verändert. Der Wehrturm ragte düster und majestätisch aus den kristallklaren Wassern des ruhiges Flußarms empor, ein uraltes Monument, dessen charakteristische Linien die Zeit glattgeschliffen, aber nicht gebrochen hatte. Im Gegenlicht, im Schein der rötlich glühenden Nachmittagssonne, wirkten seine Mauern fast schwarz. Andrej glaubte dennoch, die eine oder andere Veränderung zu erkennen: Hier und da war ein Schaden ausgebessert, eine abgebrochene Zinne erneuert, ein Dachstuhl der hölzernen Nebengebäude verändert worden. Nichts davon hatte die Bauernburg mit dem zentralen Turm jedoch wirklich verändert. Der Wehrturm stand so unberührt und trutzig da, wie er schon vor zweihundert Jahren dagestanden hatte und wie er wohl auch noch nach weiteren zweihundert Jahren dastehen würde.
    Der Turm wird den Türken wahrscheinlich nicht wichtig genug sein, um ihn irgendwann einmal zu schleifen, dachte Andrej spöttisch. Auch die hölzerne Brücke, die vom Nebenarm des Flusses zu dem kleinen Ort an seinem Ufer führte, stand noch wie in den Tagen seiner Kindheit - als wäre sie für die Ewigkeit gebaut. Dabei hatten sie schon in seiner Kindheit heimlich Wetten darauf abgeschlossen, wie lange es noch dauern mochte, bis der nächste heftige Sturm sie endgültig davonblies.
    Er ritt weiter und ließ seinen Blick nun auch über Borsã schweifen. Im Gegensatz zur Bauernburg hatte sich der Ort stark verändert. Er war nicht einmal viel größer geworden, aber die Gassen waren nun befestigt, und viele Häuser hatten richtige Dächer aus Holzschindeln, statt mit Stroh und Ästen gedeckt zu sein. Borsã war offensichtlich zu bescheidenem Wohlstand gekommen.
    Was es verloren hatte, das waren seine Bewohner. Das fiel Delãny erst auf, als er den Weg vom Hügel hinab schon zu mehr als der Hälfte zurückgelegt hatte. Nirgendwo in den wenigen Gassen Borsãs rührte sich etwas. Aus keinem Kamin kräuselte sich Rauch. Selbst die Pferdekoppeln, die er von hier aus sehen konnte, waren leer.
    Er ließ sein Pferd wieder anhalten. Sein Herz schlug ein wenig schneller - nicht aus Furcht, sondern infolge leichter Anspannung -, und er senkte die Hand auf die Waffe an seiner Seite, um die grauen Stoffetzen zu entlernen, mit denen er den Griff umwickelt hatte, damit das exotische Sarazenenschwert nicht zu viele neugierige Blicke auf sich zog oder gar die Aufmerksamkeit von Dieben erregte.
    Andrej glaubte eigentlich nicht wirklich, daß er die Waffe brauchen würde. Borsã wirkte wie ausgestorben, aber über dem Ort lag nicht der Geruch von Tod und Verwesung. Am Himmel kreisten keine Aasvögel, und er konnte zumindest aus der Entfernung keine Spuren eines Kampfes erkennen.
    Es mußte eine andere Erklärung für diese vollkommene Abwesenheit von Leben geben. Alle Dorfbewohner mochten auf den Feldern sein, im Wald, um Holz zu schlagen, oder zum Fischen
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