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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
Autoren: Am Abgrund
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seiner Vergangenheit sein konnte, der nicht erschlagen unten in der Eingangshalle lag. Wahrscheinlich waren ihm ständig Gesichter und Namen aus seinem langen Leben durch den Kopf geglitten - auf der Suche nach einem Erlöser seiner Schmerzen.
Er hatte auf ihn oder einen der anderen Dorfbewohner gewartet. Und er hatte Andrej erkannt, weil er ihn für den Tod hielt, der ihn von seiner Qual erlösen würde. War es nur das, was er für alle seine Freunde war? Der Tod?
»Erlöse mich«, murmelte Barak.
Andrej zwang sich, Barak einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, und sei es nur aus der völlig unmöglichen Hoffnung heraus, ihn doch noch retten zu können.
Er konnte es nicht. Die Nägel, mit denen sie Barak an das Bett genagelt hatten, waren so dick wie ein Finger und bis ans Heft in seine Hände und das Holz getrieben. Der Zimmermann war nicht sehr behutsam gewesen. Mehrere von Baraks Fingern waren gebrochen. Wenn er versucht hätte, die Nägel herauszuziehen, hätte allein der Schmerz den Mann umgebracht.
Noch schlimmer war die Wunde an seiner Seite. Die Speerspitze war zur Gänze in seinen Leib eingedrungen. Von Michail Nadasdy hatte Andrej eine Menge über die menschliche Anatomie gelernt. Er wagte sich nicht einmal vorzustellen, was der geschliffene Stahl in Baraks Körper angerichtet hatte.
Und er verstand immer weniger, warum Barak überhaupt noch lebte. Es war nicht nur sein Alter, das geradezu unglaublich erschien - er mußte annähernd hundert sein! -, da war noch etwas: Der Überfall auf die Bauernburg war länger her als nur ein paar Stunden, das hatte ihm schon der Leichengeruch draußen in der Halle verraten. Gestern, vielleicht vorgestern war es geschehen.
»Gott im Himmel, Barak, wie lange … ?«
»Zu lange«, stöhnte Barak. »Erlöse mich, Andrej, ich flehe dich an!«
Andrej zog sein Schwert. Es hätte noch so viel gegeben, was er Barak hätte fragen wollen, so viel, was er wissen mußte. In allererster Linie ging es ihm um das Schicksal seines Sohnes. Und dann um die Frage, wer für das alles hier verantwortlich war, warum es geschehen war - und warum ausgerechnet Barak als einziger noch lebte.
Er stellte nicht eine dieser Fragen. Jede Minute, die er Barak zwang, weiter am Leben zu bleiben, war wie eine Ewigkeit in der Hölle. Er schloß nur noch einmal die Augen und lauschte in sich hinein, suchte nach etwas - der Gewißheit, daß er richtig handelte, wenn er Barak tötete, daß es kein Mord sein würde, sondern eine Erlösung, wie er sie seinem alten Gönner schuldig war.
Das Schicksal hatte Barak einen besonders üblen Streich gespielt. Er verfügte über die fast schon sprichwörtliche Zähigkeit der Delãnys und das unglaubliche Durchhaltevermögen ihrer Familie, das ihn geradezu zwang, sein Leben nicht einmal in dieser verzweifelten Situation einfach aufzugeben. Es war eine erstaunliche Lebenskraft in ihm, die ihn länger hatte leben lassen als all seine Altersgenossen im Dorf und die ihn nun dazu zwang, die Qualen der Hölle Tage zu ertragen statt nur Stunden.
Andrej hob das Sarazenenschwert und stieß Barak die Klinge fast bis ans Heft in die Brust.
Das Leben blieb noch eine einzelne, endlose Sekunde in den Augen des uralten Mannes. Dann brach es. Baraks Kopf sank nach vorn auf seine Brust, und über seine Lippen strömte ein letzter Atemzug wie ein erleichtertes Seufzen.
Andrej senkte das Schwert, und hinter ihm sagte eine Stimme: »Das war sehr tapfer von Euch, Herr.«
Erschrocken fuhr er herum und sah sich einem vielleicht zwölf- oder dreizehnjährigen Knaben mit blassem Gesicht und schulterlangem rötlichen Kraushaar gegenüber.
»Er hat mich angefleht, ihn zu erlösen, und ich … ich wollte es auch tun. Aber ich hatte nicht den Mut. Ich war feige.«
»Es hat nichts mit Feigheit zu tun, wenn man einen Freund nicht töten kann«, antwortete Andrej. Er senkte sein Schwert. »Wer bist du?«
»Frederic, Herr«, antwortete der Junge. Sein Blick begegnete dem Andrejs offen und vollkommen ohne Scheu. »Frederic Delãny vom Borsã-Tal. Und Ihr?«
Da er sich Barak gegenüber schon als Andrej zu erkennen gegeben hatte, war es wenig sinnvoll, sich nun mit einem anderen Namen vorzustellen. Das hätte das Mißtrauen des Jungen geweckt. »Mein Name ist Andrej Delãny«, antwortete er.
»Delãny?« Die Augen des Jungen leuchteten einen Moment lang auf, aber die Erleichterung machte fast augenblicklich Mißtrauen und durchaus begründeter Vorsicht Platz. »Ich erinnere mich jetzt. Es muß ein paar
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