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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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von Lengede.
    Draco hatte vor zwei Stunden geklingelt, wie verabredet um sechzehn Uhr. Ich wollte nicht, dass er abends kommt, denn das hätte unausgesprochen eine gemeinsame Nacht bedeutet. Und die wollte ich mir offen halten.
    Am Telefon hatte ich ihm deutlich gesagt, dass ich nicht so einfach zurückzuhaben sei, wie er offensichtlich denke.
    «Was erwartest du, Kleines? Soll ich mich vor dir auf den Boden werfen und Asche auf mein Haupt streuen?»
    «Warum nicht?»
    «Aber ich habe mich doch entschuldigt!»
    «Das reicht mir nicht.»
    «Was willst du denn noch?»
    «Reden. Verstehen. Wir können doch nicht einfach da wieder anfangen, wo wir aufgehört haben.»
    «Warum eigentlich nicht? Du warst doch glücklich mit mir, oder? Du hast mich doch nicht verlassen, weil du mich nicht mehr liebst, sondern weil ich mich kurzfristig anders orientiert habe. Aber das Thema ist ja jetzt durch. Kleines, wir waren doch ein gutes Paar. Und wir können das wieder sein!»
    «Mir geht das irgendwie alles zu schnell und zu leicht.»
    «Bloß weil mal was schnell und leicht geht, muss es ja nicht gleich verkehrt sein. Gib mir eine zweite Chance, Linda!»
     
    Ich hatte mich einigermaßen hübsch gemacht für Draco, das muss ich zugeben. Gut, das neue Samtoberteil, das mir Erdal zu Weihnachten geschenkt hatte, hatte ich mir natürlich für morgen aufgehoben, um Johann Berger zu beeindrucken.
    Ich war hin und her gerissen. Sollte ich die sichere Lösung wählen? Zurück zu Draco? Warum denn eigentlich nicht? Manchmal schmecken ja aufgewärmte Speisen besonders gut. Und es kommt auch nicht selten vor, dass ich mir einen Film ausleihe, den ich schon mal gesehen habe. Ich weiß gern, was auf mich zukommt. Ich fahre auch gern immer wieder an denselben Urlaubsort. «Da weiß man, was man hat», lautet einer der meistbenutzten Sätze meiner Mutter. Irgendwas muss ich ja von ihr haben.
    Ich habe immer Leute bewundert, die das Risiko lieben. Ich liebe es nämlich nicht.
    Und wenn ich mich für Johann Berger entscheide, und dann verlässt der seine Frau nicht? Dann stehe ich ja ganz ohne Mann da!
    Ich war sehr gespannt auf unser morgiges Wiedersehen. Wir hatten seit dem Fest in Hamburg nur per SMS kommuniziert, und natürlich hatte mich die Rückkehr von Draco emotional ein wenig abgelenkt – was zur Folge hatte, dass Johann Bergers SMS emotionaler waren als jemals zuvor. In seiner letzten SMS hatte er sogar vorgeschlagen, wir sollten mal darüber reden, wie es mit uns weitergehen soll.
    Die verbotene Frage! Nicht von mir gestellt! Heißa, wie doch mit einem Mal alles nach Plan läuft, sobald man aufhört, Pläne zu machen!
     
    Als es um sechzehn Uhr klingelte und ich die Tür öffnete, kniete Draco vor mir auf der Fußmatte und rief: «Verzeih mir, geliebte Linda, Asche auf mein Haupt!» Im selben Moment kippte er eine mit Asche gefüllte Plastiktüte über seinem Kopf aus.
    Unglückseligerweise hatte ich die Fenster zum Lüften geöffnet. Ich wusste, was geschehen würde, aber es war zu spät. Der Durchzug sorgte dafür, dass ich mich nach einigen Sekunden in einer Umgebung wieder fand, die mich an den Film «Die letzten Tage von Pompeji» erinnerte – nach dem Ausbruch des Vesuvs, versteht sich.
    «Oh!», sagte Draco und warf einen verdutzten Blick auf meine helle Bluse, die keine helle Bluse mehr war. Dann zog er es vor, sich zunächst nicht weiter zu äußern.
    Das war irgendwie typisch. Draco war schon immer ein Meister der Disziplin «Gut gemeint – schlecht gelungen». Ich habe generell keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht, wenn die etwas besonders gut meinen. Meist bringen sie einem dann genau die seltenen Blumen mit, auf die man mit spontanem Bronchialspasma reagiert. Oder sie verstecken Schmuckpräsente an irgendwelchen absonderlichen Orten, was dazu führt, dass sie dann entweder aus Versehen in einem Müllschlucker oder in einer Speiseröhre landen.
     
    Eine halbe Stunde verbrachten Draco und ich damit, den Flur zu säubern.
    «Es ist doch die Geste, die zählt, oder?», fragte Draco mehrmals, aber ich antwortete nur mit einem schwer zu deutenden Schweigen.
    Ich fand die Geste ja tatsächlich außerordentlich anrührend, aber ich hatte mir vorgenommen, mich ansatzweise unzugänglich und würdevoll zurückhaltend zu geben. Ich war eine Frau, die man verletzt hatte. Ich hatte gelitten und, ja, ich hatte in vielen einsamen Nächten viel geweint. Ich wollte, dass das gebührend berücksichtigt wird.
     
    «Linda, wie soll
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