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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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allernächsten Flug, ist das klar?« Damit
dreht Marjana sich um und will gehen.
    »Ich werd’s versuchen«, ruft ihr die Frau vom Tresen aus nach. »Aber
korrekt ist das eigentlich nicht. Und wieso haben Sie S’ denn so eilig?«
    »Weil es mir wie Ihrem Dichter Thomas Bernhard geht. Ich halte es
hier einfach nicht mehr aus. Irgendwie zu viel Mozart für so wenige Menschen.
Und ich verlasse mich auf Ihre Diskretion.«
    »So, jetzt gibt’s was zu essen. Ich hab schon ein Lokal ausgesucht.
Hier entlang, meine Damen«, sagt Wiktor. Er erwartet sie am Fuß einer
geschwungenen Freitreppe und zeigt hinauf zum ersten Stock des Abfluggebäudes.
    »Hier ist das Restaurant.« Er macht eine große Geste. »Es sieht doch
ganz nett aus, oder?«
    Das Lokal ist fast leer, und die drei wählen einen Tisch direkt an
der breiten Panoramafensterfront. Von hier aus kann man beobachten, wie am
Rollfeld eine Lufthansamaschine gerade an eines der Gates andockt. Wiktor
springt auf und läuft zum Ober, der gerade an den Tisch kommen wollte, um die
Bestellungen aufzunehmen. Nachdem er einige Minuten mit ihm getuschelt hat,
setzt er sich wieder zu Luba und Marjana.
    »Ihr könnt die Karten weglegen, ich hab schon alles erledigt.«
    »Ach, und woher willst du wissen, was ich essen möchte?«, fragt Luba.
    »Überraschung! Ich lade euch zum Abschiedsessen ein«, sagt Wiktor.
»Ciao Alpen, ciao Berchtesgaden, ciao Salzburg.«
    Der Kellner bringt eine Flasche Champagner, ein zweiter die Gläser
dazu. Als Wiktor mit Luba und Marjana auf das vorläufige Ende ihres Abenteuers
anstößt, geht die Frau in Schwarz am Tisch vorbei, die ihm vorher, beim
Aussteigen aus dem Taxi, zuzwinkerte. Wiktor starrt ihr hinterher wie verhext,
er kann seinen Blick nicht von ihr abwenden. Wer ist diese Frau? Was will sie?
Sie dreht sich um, kommt zu ihm zurück und fragt: »Warum starren Sie mich so
an?«
    »Ich … ich möchte Sie fragen, ob Sie vielleicht auch ein
Gläschen Champagner mittrinken und mit uns anstoßen wollen«, stammelt Wiktor
verlegen.
    »Worauf?«, fragt sie in ziemlich schlechtem Englisch. »Auf die Zukunft?«
    »Auf … das Leben«, stottert Wiktor.
    »Sie sehen doch, ich trage Trauer. Mein Mann ist vor Kurzem gestorben.«
Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und geht weiter, kreuzt den Weg der
Kellner, die nun das Essen servieren.
    »Dreimal Hirschgulasch, die Herrschaften, mit frischen
Eierschwammerln und süßsaurem Birnenkompott mit Preiselbeeren«, sagt der Ober.
»Ich wünsche einen guten Appetit.«

Berchtesgaden, Herbst 2010
    Leni schleicht sich als Letzte in den Vortragssaal des
Berchtesgadener Kurhauses. Das Licht ist schon ausgeschaltet, der Saal brechend
voll. Sie findet noch einen Sitzplatz in einer der letzten Reihen.
    Die Bühne ist ausgeleuchtet. Im Hintergrund ein an die Wand
geworfenes Dia. Eine Felsnase ragt aus dem Meer, wie ein Finger Gottes, nicht
weit von der Küste entfernt, nur über eine Seilbrücke vom Festland aus zu
erreichen. Laute Musik. Ein näselndes Blasinstrument, Trommeln, Schwirrhölzer.
Auf der Bühne steht Simon, ihr Sohn Simon, mit einem Mikrofon in der Hand. Wie
dünn er geworden ist, ihr Bub. Ein Mann ist er geworden, draußen in der Welt,
so weit weg von ihr, wie es nur ging.
    Eigentlich wollte sie nicht hingehen, wollte gar nichts wissen von
seinen Abenteuern, den gefährlichen Klippen-Klettereien, den riskanten
Free-Solo-Routen, die er drüben in Australien geklettert ist. Aber Rudi hat ihr
keine Ruhe gelassen und sie zu seinem Vortrag geschickt. Simon weiß nicht, dass
sie da ist, und eigentlich hat sie vor, noch vor dem Ende des Vortrags wieder
zu verschwinden. Ihm aus dem Weg zu gehen. Die Verletzungen sitzen noch tief.
Er ist einfach abgehauen. Von einem Tag auf den nächsten war er weg, das hat
sie ihm bis heute nicht verziehen. Er muss sein eigenes Leben leben, sagt Rudi,
der immer alles versteht bei dem Buben. Muss er sich deshalb davonstehlen wie
ein Dieb? »Abenteuer Leben« hat er seinen Vortrag genannt. Und ist noch keine
zwanzig Jahre alt. Humor hat er offenbar.
    Als Leni sich in der Pause ein Bier holt, läuft ihr Simon über den
Weg, der Spenden für die Aborigines sammelt. Während sie noch unsicher von
einem Bein auf das andere tritt, kommt er strahlend auf sie zu und legt die
Arme um sie.
    »Hi, Mom«, sagt er, und es klingt wie immer. »Hab gehört, du hast es
im Sommer doch noch auf deine Alm geschafft. Gut schaust aus!«
    Leni bringt keinen Ton heraus, so gerührt ist sie,
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