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Hinter Geschlossenen Lidern

Hinter Geschlossenen Lidern

Titel: Hinter Geschlossenen Lidern
Autoren: Joe Waters , Carolin Wagner
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Anwesenden, bis sie nur noch das Podium erhellten und auf Dags Händen zur Ruhe kamen, die vor ihm auf dem Tisch lagen, als hätte er sie dort vergessen.
    Er erzählte etwas in der Art, dass ihn eine kürzliche Meniskus-Verletzung zum Nachdenken gebracht habe, dass er vorhabe, auch mit seinen Enkeln noch Fußball zu spielen und deshalb lieber jetzt Schluss mache, bevor seine Knochen ganz verschlissen seien. Er wirkte ruhig und entschieden, aber ich glaubte ihm kein Wort, konnte für ihn nur hoffen, dass er sich die Sache reiflich überlegt hatte.
    Den Rest der Diskussion bekam ich kaum noch mit. Ich starrte ihm auf den Mund, beobachtete, wie er ihn öffnete und schloss, wie seine Zähne weiß hinter seinen Lippen aufblitzten, wartete auf seine Zunge, mit der er sich hin und wieder die ausgetrockneten Lippen benetzte. Ich wäre am liebsten zu ihm gelaufen und hätte ihn da herunter gezerrt, um mich in seine Arme zu werfen. Aber ich tat nichts dergleichen.
    Kurz vor Schluss riss ich mich los, holte mein Auto und wartete am Hintereingang auf ihn. Ich wollte ihm folgen. Vielleicht würde ich von meinem Trip herunterkommen, wenn ich ihn mit dem anderen zusammen sah, für den er bereit war, alles aufzugeben.
    War es nicht langsam an der Zeit, endlich zu begreifen, dass ich ihn nie wieder anfassen durfte? Verdammt – vor lauter Wut über mich selbst schlug ich auf das Armaturenbrett ein und zertrümmerte beinahe die Radiokonsole. Sie knackte verdächtig und ein Riss tat sich in der Verschalung auf.
    Warum hatte ich nicht eher über uns nachgedacht, wie hatte ich nur zulassen können, dass er sich mehr und mehr vor mir zurückzog? Ich hatte es nicht einmal gemerkt, so benebelt war ich die ganze Zeit gewesen. Jetzt verlor ich ihn für immer und konnte mir doch ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Ich wartete fast drei Stunden auf ihn
– er kam nicht. Wahrscheinlich hatte ich mich verkalkuliert und er war längst zum Haupteingang hinaus.
    Als es wieder anfing zu regnen, fuhr ich zum Hotel zurück. Den Rest des Tages blieb ich im Bett, warf mich unruhig hin und her. Sollte ich aufgeben und zurückfliegen? Ich konnte mich einfach nicht dazu entschließen. Am nächsten Morgen nach einer weiteren Nacht ohne Schlaf fasste ich endlich einen Entschluss. Ich musste wenigstens noch einmal mit ihm reden und wenn mich sein Freund achtkantig wieder rausschmiss. Schon einmal hatte ich aufgegeben und es bitter bereut. Diesen Fehler würde ich nie wieder machen. Jetzt würde ich um ihn kämpfen.
    Ich packte meine Sachen und nahm die Autobahn Richtung Südwesten. Seine Adresse in Oslo kannte ich, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er ans Meer gefahren war, um in Ruhe sein Glück zu genießen. Wenn ich mir vorstellte, dass er die Tage jetzt mit dem anderen in ‘unserem’ Bett und an all den Plätzen verbringen würde, die ich immer noch im stillen als ‘unsere’ Orte bezeichnete, wurde mir schlecht und mit jedem Meter, den ich meinem Ziel näher kam, wurde es schlimmer. Ich war eifersüchtig, sehr sogar.
    Schließlich bog ich in den Schotterweg ein und dachte daran, wie es beim letzten Mal gewesen war, als ich zu ihm fuhr. Würde er heute mit dem anderen auf dem Anleger sitzen und angeln, wenn sich gleich die Bucht vor mir auftat? Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich fuhr weiter. Ich musste es einfach wissen, brauchte Klarheit. Wenn wirklich alles vorbei war, wollte ich ihn wenigstens noch einmal sehen, mich von ihm verabschieden.
    Sein Ferrari war da, ansonsten lag die Bucht verlassen im trüben Tageslicht. Ich stieg aus und atmete bebend ein. Nicht einmal die Möwen erwarteten mich heute. Schmallippig mit dem Geräusch von rauen Katzenzungen leckte das Wasser den Strand und spielte plätschernd um die Stelzen des Steges. Das Meer lag bleiern über der Bucht, silbrig grau wie der Bauch eines Wals. Dags Kahn fehlte. War er ausgerechnet heute damit unterwegs? Tatsächlich öffnete niemand auf mein Klopfen. Ich sah durch die Fenster, aber drinnen war es dunkel und still.
    Ich war fast erleichtert darüber. Keine Nachricht war besser als eine schlechte. Dann bestand noch Hoffnung. Ich ging zurück zum Steg und bemerkte erst von dort aus, dass auf dem Dach des Hauses ein Scheinwerfer brannte. Sicher als Richtungslicht, um im Dunklen vom Boot aus den Eingang zur Bucht besser finden zu können. Also war er wohl tatsächlich draußen. Ich hüllte mich enger in meinen Mantel, setzte mich und wartete.
    Körperlich und seelisch
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