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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz
Autoren: Christiane Tramitz
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Also lass mir meine Ruhe, Kerl!
    Urban hörte, wie Fertl einen Stuhl an den Bettrand schob und sich setzte. Er spürte, wie die Schnitzerhand an seiner Schulter rüttelte, um ihn zu wecken. Augen zu, Kraxner, lass sie zu! Um noch überzeugender als Schlafender zu wirken, klappte Urban nun auch noch sein Kinn nach unten und entließ einen geräuschvollen Schnarcher. »Bist halt mit allen Wassern g’waschn, Kraxnerbauer, sogar jetzt, wo du nichts mehr zu verlieren hast, nicht amal mehr das Leben, weil a Leben ist des ja nimmer, wast’ hast.« Fertl hielt kurz inne, bevor er weiterfuhr: »Cilli ist heut zu mir kemma. Sie hat mir was auf einen Zettel g’schrieben. Für dich. Soll ich’s dir vorlesen? Urban? Brauchst nur mit dem Kopf zu nicken.«
    Doch Urban blieb beharrlich bei seinem vorgetäuschten Tiefschlaf, alles andere hätte ungute Folgen, meinte er zu wissen.
    Es raschelte Papier. »Lieber Fertl, hat Cilli g’schriebn, wir beide wissen doch, wie es um alles steht. Geh hin und sag’s ihm, dem Urban, damit der Bub, Agnes und er a Ruh finden, sag’s ihm, dass dann nimmer lang dauert, bis er aus dem Fegefeuer rauskommt, wenn er ein Zeichen gibt, dass er sich am Buben versündigt hat, damals am Tag des Schützenfests.«
    Niemals, niemals, dachte Urban, war nur ein dummes Missgeschick, keine Sünd, kein Fegefeuer, Kerl verschwind endlich und lass mich.
    Doch Fertl sprach weiter: »Urban, du weißt doch, dass Cilli so oft a Ahnung hat von dem, was kimmt, also mach die Augen auf und schau mich an. Gib mir ein Zeichen, wenn’st schon net redst.«
    Urban spürte Fertls Lippen am Ohr. »Und, Urban, jetzt sollst das auch noch erfahren. Horch gut zu!«
    Kranker Atem hauchte dem alten Kraxner die Geschichte von Wurzl ein, dass der all die Jahre gelebt hatte und vor ein paar Wochen unter den Reifen eines Wagens verendet war.
    »Willst sicher wissen, woher ich des weiß?« Fertl holte tief Luft, hustete kurz und sagte dann: »Von Cillis Gästen. Sie kommen aus Hamburg. Ausgerechnet unter deren Wagen hat der Hund seinen Tod gefunden. Verstehst, Urban?«
    Wurzl – Tobi – Versehen – Durst – Qual – Tod – Verwesung.
    Die Erinnerung umfasste Urbans Nacken und drückte ihn ins Kissen, dass der Kraxnerbauer das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
    Erpressen hatte der Bub ihn wollen, damals, am Schützenfest. Plötzlich war er dagestanden, mit diesem Fetzen Papier. »Da bist ja, hab dich g’sucht. Da, lies!«, hatte er gesagt, der Bub. Vor Urbans Augen tauchte die Schrift des alten Tremplerbauern auf, klein, krakelig, wie die eines Kindes:
    Bevor ich geh für immer, will ich sagen, was ich weiß.
    Denn große Schuld hat der Kraxner Urban
    auf sich geladen,
    lange hab ich geschwiegen, weil i net verlieren wollt,
    des wenige, was wir haben.
    Aber jetzt, wo keiner mehr da ist, hoff ich,
    dass die Wort gefunden werdn.
    Dass a jeder weiß, was g’schehn ist, damals im Krieg.
    G’sehn hab ich es, wie der Kraxner Menschen hat …
     
    An dieser Stelle war der Zettel zerrissen, der zweite, alles verratende Teil war abgetrennt worden.
    Urban war schwarz vor Augen geworden, in seinem Kopf hatte es gebrummt wie in einem Hornissennest, die Hitze, die Schmerzen, der Alkohol. Verdammt, reiß dich zusammen, Urban.
    Langsam hatte sich der Kraxner an dem Haflinger in die Höhe gezogen. Ruhig verstaute er seinen Flachmann in der Tasche, dann setzte er sich den Hut auf den Kopf, fasste den Buben ins Auge und zischte durch die Zähne:
    »Willst du mir etwa drohen, willst mich erpressen?«
    »Sag, warum hast des mit dem Wurzl g’macht? Sag, wo hast ihn hintan? Hast in derschlagn?«, schrie der Junge.
    »Bub, der Hund war net artig, hat mein Holzbein g’stohln. Hättest besser aufpassen müssen auf das Vieh, ich hab dich g’warnt. So, und jetzt sagst mir, wo der Rest vom Zettel ist.«
    »Erst gibst mir den Wurzl zurück!«, erwiderte Tobi trotzig.
    Da packte Urban den Jungen am Genick.
    »Des andre Zettelstück, hab ich g’sagt, wo hast des?«
    »Erst Wurzl«, schrie Tobi.
    Da drückte der Kraxnerbauer zu, bis das Gesicht des Buben blau anlief und er japste: »Droben, am Tremplerhof, da droben liegt er.«
    »Dann gemma, gemma, sofort«, brüllte Urban und schob Tobi wie einen kleinen Hasen am Genick haltend vor sich her. »Gemma zum Tremplerhof.«
    Oh, schlau hatte er es angestellt, auf dass es eines Tages herauskommen würde, Urbans Verbrechen. So hatte der alte Tremplerbauer es sich gedacht, bevor er verschwunden war.
    Dann
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