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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich
Autoren: Rolf Dobelli
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ihren Körper kreist, dann mit Handschuhen ihre Arme und Beine entlangfährt und schließlich mit den Fingern in ihren mächtigen Haarschopf eintaucht auf der Suche nach Bomben. Ich meinerseits verlegen, wie man das macht: mit einem Kleinkind durch die Sicherheitskontrolle. Für einen Augenblick hätte ich Lily beinahe aufs Förderband gelegt, doch der Mann mit dem schwarzen Stab winkt uns beide durch den Metalldetektor und liefert so den Beweis, daß wir zusammen nur ein einziges Sicherheitsrisiko sind.
    »Our flight time will be APPROXIMATELY seven hours and 26 minutes.«
    New York - Zürich: Abflug mit Verspätung. Wieder einmal. Unerklärlich, weshalb die Flight Attendants vor jedem Flug unermüdlich die Funktion der Sitzgurte demonstrieren. Wer atmen kann, dürfte verstanden haben, wie man sich anschnallt. Trotzdem wird vorgeführt, als würden sie sich selbst vorführen und nicht die Gurte. Lily auf meinem Knie. Dieses warme Bündel Leben. Wenn ich meine Hände um ihr Becken lege, reicht es nicht ganz, sie zu umfassen. Zukunft in meinen Händen. Ein Spezialgurt, an meinem Sitzgurt eingeklinkt, hält Lily fest. Jetzt ist sie es, die mit den Knöpfen der automatischen Sitzsteuerung spielt. Ich schaue zum Fenster hinaus. Wie vom Portier vorhergesagt: die ersten Schneeflocken. Augenblicke später der anbrausende Sturm, Schnee in Schwaden, dicht wie Styropor. Also werden wir zur Enteisung geschickt, wo sie uns mit hellgrünem Schleim bespritzen, man gafft durch die Scheiben hindurch, während der Strahl direkt auf einen zielt, es trommelt an die Scheibe, man gafft und wird nicht naß. Lily streckt dem Strahl die Zunge raus.
    Dann der Abflug. Ein Monitor hängt an der Decke und zeigt: Start gegen Westen, also in die falsche Richtung. Das Aufbrausen der Triebwerke. Zuerst nichts als Lärm. Lärm ohne Geschwindigkeit. Nach Sekunden endlich Beschleunigung. Pistenmarkierungen in immer schnelleren Abständen. Auf dem Taxiway neben der Piste stehen Flugzeuge und warten auf ihren Start, aufgereiht wie Muschelstücke auf einer Schnur. Pisten, Lichter, Markierungen. Fahrzeuge mit Kreisellichtern im Schnee. Geflecht aus asphaltierten Streifen, die ein Schneefeld in verschiedenen Winkeln zerschneiden. Bis wann kann ein Start abgebrochen werden? Endlich kippt der Horizont nach unten. Augenblicke später heben wir ab. Zweihundertdreißig Tonnen - eine Zahl, die mir bei jedem Start in den Sinn kommt. Die Kette grüner Lichter markiert das Pistenende. Time to Destination: 7 Hours 25 Minutes. Schnee. Dann Dächer, Häuser - eng und zweistöckig, eigentlich bunt, aber jetzt weißgrau, mit Giebeldächern, aneinandergepreßt, als würden sie sich gegenseitig warm halten. Time to Destination: 7 Hours 24 Minutes. Straßen. Autowracks in den Straßen, Häuserzüge. Ein Stadtteil. Plötzlich Wasser. Netze von Dunst. Industrie wie Sediment. Der Morast hat sich allmählich alles wieder zurückgeholt - die Frachter auf dem Grund, die nur vom Flugzeug aus zu sehen sind, Gerippe von Schiffsstegen, die Pfähle als Punkte im Wasser, in einer Linie. Time to Destination: 7 Hours 20 Minutes. Die Inletts von New Jersey. Flecken von Schnee auf Inseln von Marshland. Hinter dem Schleier die Verazzano Bridge, dann Manhattan. Kindergeschrei irgendwo weit hinten, irgendwo in der Economy Class. Frachter im Hafen. Dann die Linkskurve, was auch der Monitor bestätigt. Die linke Flügelspitze wie ein Messer, das in langsam drehender Bewegung ein beliebiges Quartier aus Brooklyn schneidet. Wieder Marshland. Dann der Anfang von Long Island. Der linealgezogene Strand. Die ersten Häuserreihen, zurückversetzt, in beträchtlichem Abstand zum Atlantik. Die Längs- und Querstraßen rechtwinklig wie in Manhattan. Ab und zu führen Brücken zum Festland hin, dann wird die Insel breiter, wird selbst zu einer Art Festland. Das zuckende Licht der Positionslampen draußen bei der Flügelspitze. Der Lippenstiftstrich auf dem Monitor zeigt die anfängliche 180-Grad-Drehung und jetzt einen geraden Verlauf nach oben rechts. Ich bin erleichtert, daß die Flugrichtung stimmt. Time to Destination: 7 Hours 09 Minutes. Wieder Wolken, diesmal unter den Flügeln, ein aufgelöster Schneesturm, ausgeschneit, Fetzen, die durch die Luft schweben, wie Quallen. Die fesselnde Stille, wenn die Landeklappen und Spoiler endlich eingezogen sind. Die Flight Attendants lösen sich aus den Sitzen. Das Meer ist nicht blau, sondern in der Farbe von nassem Fels. Fasten Seatbelt Sign off. Die Spitze
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