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Himmel ueber Falludscha

Titel: Himmel ueber Falludscha
Autoren: Walter Dean Myers
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Bilder für die Zeitungen zu Hause?
    Als wir uns für die Gedenkfeier aufstellten, musste ich an das blinde Kind denken: als ob es in seiner ewigen Dunkelheit mit seinen ausgestreckten Armen nach Antworten suchte. Ich freute mich für den irakischen Jungen, dass er diese panischen Momente überlebt hatte – auch wenn ich glaube, dass ich ihn mit der Zeit vergessen werde. Aber Captain Miller, die auf ihn zurannte, und Jonesy, der seine Träume für dieses Kind aufgab – sie haben sich über all diese Angst und über all diesen Hass erhoben. In dem einen, letzten, verzweifelten Moment konnte dieser blinde Junge tatsächlich so etwas wie eine höhere Art von Menschlichkeit spüren.
    »Weiß jemand, was für eine Religion der junge Mann hatte?«, fragte der Geistliche.
    »Er war ein Blues-Mann«, antwortete Marla.
    »Und ein Amerikaner«, fügte Miller hinzu. »Ein verdammt guter Amerikaner.«
    Die Fragen hörten auf. Der Gottesdienst ging weiter.
    »Herr, erbarme Dich unser, wenn wir den Schmerz des Verlustes spüren und die endlose Leere des Dahinscheidens unseres Bruders; und erbarme Dich unser, wenn wir uns selbst bemitleiden und an all die in die Ewigkeit eingegangenen Kameraden denken, mit denen wir uns verbunden fühlen. Lass uns den Tod fürchten, aber lass ihn nicht in unsere Herzen eindringen. Behüte uns, oh Herr, und gewähre uns Deine Gnade. Amen.«
    »Antreten zum letzten Appell!«
    Major Sessions kam vom Ende des Zeltes nach vorn und hielt vor der ersten Stuhlreihe an. Nach einem Blick auf ihre Liste sah sie hoch.
    »Jones!«, rief sie mit bebender Stimme.
    Wieder dieses unerträgliche Schweigen und das Verlangen nach einer Antwort.
    »Corporal Charles Jones!«
    Die Stille zwischen den einzelnen Herzschlägen schien unendlich, bevor sie sich in der traurigen Melodie klopfender Füße auflöste.
    Wir, die von unserer Einheit übrig geblieben waren, hatten nicht genug Tränen, um den Moment fortzuwaschen. Alle Gebete und tröstenden Worte reichten nicht aus, um die Traurigkeit auszudrücken, die wir empfanden. Doch wir mussten noch die Kraft aufbringen, das Zelt wieder zu verlassen, in dem die Zeremonie stattgefunden hatte, und ins gleißende irakische Sonnenlicht hinauszutreten, um unser Leben weiterzuleben.
    Als Captain Miller mich sah, blieb sie stehen, sah mit leicht zurückgelegtem Kopf zu mir auf und schützte ihre Augen vor der Helligkeit, wie um mich deutlicher sehen zukönnen. Einen Augenblick sahen wir einander an, dann nickte sie und ging weiter. Es musste nichts gesagt werden.
    * * *
    Wir erhielten neue Aufträge. Alle Spezialisten aus unserer Einheit wurden der 422. zugeteilt. Sie erhielten einige Zeit Urlaub und die Option, sich für andere Einheiten zu bewerben. Wir anderen, Coles, Evans, Jean Darcy, Harris und ich wurden in ein Ausbildungslager gebracht. Ich war verwundet worden und bekam deshalb ein Purple Heart verliehen. Marla wollte, dass ich die Zunge herausstrecke, damit sie sehen konnte, ob die auch violett war.
    »Wenn deine Zunge auch violett ist, heißt das, dass du jemanden vergiften kannst, wenn du ihn beißt«, erklärte sie.
    Nachdem wir unsere Waffen abgegeben hatten, versammelten wir uns, um uns zu verabschieden. Aber es war nicht zu Ende, es war nicht richtig vorbei. Ich sah Marla an und umarmte sie so lange, wie wir beide es ertrugen.
    »Birdy, du bist mir schon einer«, sagte sie.
    Wir schworen uns, in Kontakt zu bleiben. Ich würde sie tausendmal anrufen und sie würde mir schreiben und mit den Jahren würden wir zusammenkommen. Zum ersten Mal sagte ich ihr, dass ich sie liebe.
    »Birdy, du liebst automatisch jeden, der mir dir zusammen in der Deckung liegt, während auf dich geschossen wird«, erklärte sie.
    »Meinst du, das ist alles?«
    »Nein, aber das ist alles, was ich mich im Moment zu sagen traue.« Marla schlang die Arme um meinen Hals undküsste mich sanft auf die Wange. »Aber ich werde schwer an dich denken, Birdy Boy. Ich werde wirklich viel an dich denken.«
    Der Abschied war schwer und reich an Tränen und Versprechungen. Wir würden alle immer in Kontakt bleiben, gegenseitig an uns denken und für uns beten. Es gab viel Händeschütteln und viele Umarmungen. Marla kam noch einmal zu mir, legte mir den Finger auf die Lippen, damit ich nichts sagte, und umarmte mich lange.
    Dann waren wir wieder am Flughafen. Marla flog zum Luftwaffen-Stützpunkt Inçirlik in der Türkei und von dort zurück in die Staaten, um neue Civil-Affairs-Einheiten auszubilden.
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