Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Himmel ueber Falludscha

Titel: Himmel ueber Falludscha
Autoren: Walter Dean Myers
Vom Netzwerk:
sah, wie Roberts’ Leute das Lager mit Stacheldraht umgaben. Ich nahm an, dass sie einen Angriff erwarteten. Das M-16 lag schwer in meinem Arm.
    Nach zwei tiefen Atemzügen hatte ich wieder genug Energie, um zu der Hütte zurückzugehen, in der Jonesy lag. Ich stellte mir vor, dass er aufrecht saß und eine Geschichte über seinen Blues-Club erzählte. Als ich eintrat, lag er immer noch an der gegenüberliegenden Wand. Das kleine Feuer ließ seine Haut rötlich schimmern.
    »Sie sind verwundet, Birdy.« Miller kniete an Jonesys Füßen und wollte auf mich zukommen. »Lassen Sie mich das mal ansehen.«
    »Kümmern Sie sich um Jonesy«, erwiderte ich. »Mir geht es gut.«
    Sie hielt inne, immer noch kniend, mit gesenktem Kopf, die Hände auf den Oberschenkeln gefaltet.
    »Captain Miller?«, rief ich.
    Sie sah mich an. Ihr Gesicht, blass und angespannt, konntedas Entsetzen nicht verbergen. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir so leid.«
    Sie begann zu schniefen und schluchzte dann los. Es war, als ob etwas Schreckliches und Hässliches aus ihr herausbrach. »Es tut mir so leid! Es tut mir so leid!« Sie schrie es. Sie stöhnte es. Die Worte kamen tief aus ihrem Inneren und füllten den engen Raum, in dem wir uns befanden; sie zersplitterten an den Wänden in tausend Scherben, die sagten, dass Jonesy tot war.
    Ein paar irakische Frauen kamen zu ihr. Sie umarmten sie. Mal sprachen sie leise auf sie ein, mal klagten sie mit ihr.
    Jonesy war tot.
    Irgendwie riss Miller sich zusammen und sah sich mein Bein an. Unterhalb des Knies war ein hässlicher Schnitt und weiter unten an meinem Knöchel eine große blutende Schwellung. Das Bein sah irgendwie anders aus, roh und hässlich, als ob es etwas anderes wäre als ein Bein. Ich schämte mich, dass es so wehtat und dass ich den Schmerz noch fühlen konnte, während Jonesy das nicht mehr konnte. Miller gab mir eine schmerzlindernde Spritze ins Bein und riet mir, mich auszuruhen.
    Ich wollte nicht ausruhen. Ich wollte draußen sein, wenn wir angegriffen wurden. Ich wollte etwas verletzen, etwas richtigstellen. Aber was?
    Roberts. Sein Mund bewegte sich. Er laberte vom Erfolg der Mission.
    »Tut mir leid um Ihren Kumpel«, sagte er. »Wir rufen jetzt Luftunterstützung, damit die Kerle in Deckung bleiben. Die Zünder sind genau die richtigen. Man kann sie zurückverfolgen, sie haben Teilstücknummern, auf denen derCode für das Herstellungsland steht.« Laber, laber. Zünder und Fotozellen. Keine Ahnung, wozu sie gut sind.
    »Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Ich glaube nicht, dass sie angreifen«, sagte er. Laber, laber. Ich sah, wie begeistert er von den Zündern war. Sie würden Leben retten. Aber nicht genug. Das wusste ich mit Sicherheit.
    Ich fand Marla. Sie saß nach vorn gebeugt, die Arme um den Körper geschlungen, und wiegte sich hin und her.
    »Marla.« Ich legte den Arm um sie. Sie wandte sich mit tränenüberströmtem Gesicht zu mir um.
    »Wenn es einen Gott gibt«, schluchzte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, »wenn es einen Gott gibt, Birdy, wo zum Teufel versteckt er sich dann?«
    * * *
    Es gab keinen Angriff. Ein Tag Warten und Beobachten. Eine Nacht voll schlechter Träume. Immer wieder flackerten in meinem übermüdeten Gehirn die Szenen auf, von denen ich schon nicht mehr sicher war, ob es sie überhaupt gegeben hatte. Und dann die zahllosen Bilder von Leichensäcken: In einem davon lag mein Freund, mein bluesliebender Freund.
    Ein Hubschrauber nach Amana. Ein Transport nach Bagdad. Marla saß neben mir, lehnte sich an mich und legte mir die Hand aufs Bein. Miller saß abseits. Sie fühlte sich elend, aber wir fühlten uns alle genauso elend, sodass wir sie nicht trösten konnten. Ich dachte an die irakischen Frauen. Wie lange kannten sie schon diese Trauer, die sie mit der amerikanischen Offizierin geteilt hatten?
    In Bagdad wurde gepackt. Ich steckte Kleidung in meinen Seesack und überlegte, was ich mitnehmen und was ich dalassen sollte. Wir wurden viel gefragt. Was ist bei dem Einsatz passiert? Wie ist Jonesy gestorben?
    Es gab viele Fragen, die ich logisch zu beantworten versuchte. Aber immer wieder musste ich daran denken, dass wir uns in einem Krieg befanden, in dem absolute Willkür herrschte. Der Tod versteckte sich in jedem Schatten, lauerte an jeder Straße, schwebte durch die Mittagshitze. Er kam plötzlich und zufällig. Es gab keine Logik – außer der Logik der ständig steigenden Zahlen. Wie viele Tote? Wie heißen sie? Wo sind die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher