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Titel: Hide
Autoren: Jennifer Rush
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angeschossen worden.«
    Ich lächelte und ließ mir von ihm wieder ins Bett helfen. Dann lehnte ich mich in die Kissen zurück und schloss die Augen.
    Ich musste an die Kiste mit all den Origami-Kranichen denken, die noch immer unterm Bett in unserem letzten richtigen Domizil stand, das wir so fluchtartig verlassen mussten, nachdem wir Riley auf dem Sicherheitsvideo gesehen hatten. Damals hatte ich nicht daran gedacht, sie mitzunehmen. Da die Sektion nun zerschlagen war, ergab sich vielleicht die Gelegenheit, gefahrlos dorthin zurückzukehren, um sie zu holen. Dann könnte ich die Kraniche in meinem nächsten Zimmer an die Decke hängen und ihnen in der Nacht beim Tanzen zusehen.

34
    Auf Krücken humpelte ich über den Flur der Cherry Creek Manor bis zum Zimmer 214. Ich lugte durch die offene Tür und sah einen Mann in einem Sessel sitzen und aus dem Fenster schauen.
    »Dad?«, fragte ich.
    Der Mann wandte den Kopf zu mir, starrte erst mich an, dann meine Krücken. »Anna?«, fragte er.
    Sogleich meldete sich eine nervöse Hoffnung bei mir. »Du kannst dich an mich erinnern?«
    Doch er lächelte nur verlegen. »Die Schwester hat dich für heute angekündigt.«
    »Oh, verstehe.« Ich humpelte zu ihm und ließ mich im gegenüberliegenden Sessel nieder. Das Zimmer war großzügig geschnitten, hatte ein eigenes Bad und einen Balkon, von dem aus man einen schönen Blick über die weitläufigen Gärten der Cherry Creek Manor hatte. Im Moment verbarg sich die Gartenpracht natürlich unter einer dicken Schneedecke, aber ich konnte mir trotzdem sehr gut vorstellen, wie prächtig es im Frühling aussehen würde. Schön genug, einen ganzen Tag damit zu verbringen, das alles zu zeichnen.
    »Wie geht es dir?«, fragte ich, nachdem ich die Krücken weggelegt hatte.
    Dad zuckte mit den Schultern und hustete. Und dann hustete er noch ein bisschen mehr. Ich drückte mich aus dem Sessel und hüpfte zu ihm, um ihm auf den Rücken zu klopfen. »Möchtest du etwas Wasser?«
    Noch immer hustend scheuchte er mich wieder weg. »Nein, nein, alles in Ordnung. Nur ein kleiner Anfall.«
    Ich setzte mich wieder. »Wann fängt die Behandlung an? Gegen den Krebs?«
    Er hob eine Schulter. »Ich bin alt. Wieso soll ich das noch über mich ergehen lassen? Ist ja nicht so, als würde ich nicht eh bald sterben. Das ist schließlich unausweichlich.«
    »Aber vielleicht gewinnst du ja noch ein paar Jahre.«
    »Jahre voller zermürbender Behandlungen und Übelkeit? Gliederschmerzen? Nein danke.« Dann betrachtete er mich lange mit schiefgelegtem Kopf. »Wie geht es dir? Sam hat mir erzählt, dass du im Krankenhaus warst, um dich von einer Schussverletzung zu erholen. Wer schießt denn auf eine junge Frau?«
    Mein eigener Onkel , dachte ich.
    »Mir geht es gut. Die Wunde verheilt schnell.«
    Er nickte, doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass meine Antwort nicht genug erklärte. Mir fehlte bloß die nötige Energie, weiter ins Detail zu gehen, weshalb ich das Thema wechselte.
    »Fühlst du dich hier wohl?«
    Er dachte einen Moment lang nach, bevor er antwortete. »Ja, ich glaube schon. Ich mag die Leute hier. Ich bin glücklich.«
    Vielleicht hatte Sam ja recht.
    Vielleicht war dies genau der richtige Ort für ihn.
    Wir unterhielten uns noch eine Weile über nichts Bestimmtes – über das Wetter, das Essen, die Nachrichten. Ich fand es sehr merkwürdig, einfach so mit ihm dazusitzen und zu plaudern. Dad und ich waren nie groß im Unterhalten gewesen. Aber ich genoss es richtig.
    »Ich sollte mich mal wieder auf den Weg machen.« Ich stand auf. »Ich komme bald wieder, ja? Und wenn du mich brauchst, kannst du jederzeit anrufen. Du hast ja meine Nummer.«
    Ich nahm die Krücken auf und bewegte mich langsam zur Tür.
    »Anna?«, rief Dad mir hinterher. Ich blieb im Türrahmen stehen. »Ich hab dich lieb.«
    Meine Augen brannten, ich hatte das plötzliche Bedürfnis zu weinen. Doch ich schluckte es hinunter.
    »Ich hab dich auch lieb.«
    Er lächelte, bevor er sich abwandte und wieder aus dem Fenster schaute.

35
    Obwohl bereits mehrere Wochen vergangen waren, seit ich Will erschossen hatte und von der Sektion nichts als viele versprengte Untergruppen übrig waren, fand ich es immer noch schwer, mir in einem Café etwas zu bestellen, ohne alle anwesenden Personen genau zu prüfen. Davon, dass ich immer noch alle Ausgänge lokalisierte und mögliche Fluchtwege im Kopf durchspielte, mal ganz zu schweigen.
    Aber diese Angewohnheiten gehörten sicher zu den
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