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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erschreckende Weise an den Ort, den er umgab. Auch er wirkte alt, auf eine unnatürliche Weise und viel zu schnell gealtert. Und plötzlich – wohl ausgelöst durch diesen Gedanken – fiel mir noch etwas auf, nämlich dass ich in ganz Brandersgate kein einziges Tier gesehen hatte. Keinen Hund, keine Katze, nichts. Und auch dieser Wald schien von allem Leben verlassen zu sein.
    Ich ging weiter und beschleunigte meine Schritte. Plötzlich hatte ich es sehr eilig, diesen unheimlichen Wald zu verlassen.
    Aber es sollte mir nicht gelingen.
    Ich war weitere etwa zwei- oder dreihundert Schritte gegangen, als ich vor mir zwischen den Bäumen etwas gewahrte. Im ersten Moment vermochte ich nicht zu sagen, was es war, denn der Erscheinung mangelte es auf unheimliche Weise an Substanz. Ich sah im Grunde nur einen Schatten, etwas wie ein schwarzgraues Nichts, das zwischen den Bäumen hing und sich manchmal sacht zu bewegen schien, und ging unwillkürlich langsamer.
    Schließlich blieb ich ganz stehen und blickte mit einer Mischung aus Staunen und allmählich aufkeimender Furcht – die durch ein ebenso allmählich aufkeimendes Begreifen ausgelöst wurde – auf das filigrane Gewebe, das sich zwischen den Bäumen vor mir spannte.
    Ich wusste, was es war, noch ehe mein Verstand dieses Wissen verarbeiten und in Worte umsetzen konnte. Auf den ersten Blick hätte man das dünne schwarze Gewebe für das Netz einer größenwahnsinnig gewordenen Spinne halten können, die in einem Anfall von Arbeitswut versucht hatte, den ganzen Wald einzuweben. Aber die Fäden waren zu dick, sie hatten die falsche Farbe und sie folgten nicht der radförmigen Ästhetik eines normalen Spinnennetzes, sondern waren nach den Regeln einer fremden, krank machenden Symmetrie verknüpft. Es war ein Netz und es diente dem gleichen Zweck, dem das Netz einer Spinne dient, aber es war nicht das eines solchen Tieres, sondern ein Gebilde der gleichen, schrecklichen Art, wie ich ihr schon in den Abwässerkanälen von London begegnet war, nur ungleich größer. Dieses Netz hier schien tatsächlich den ganzen Wald einzuschließen. Wie ein schwarzer, undurchdringlicher Vorhang spannte es sich von Baum zu Baum, berührte unten den Boden und setzte sich nach oben so weit fort, wie mein Blick reichte, und es erstreckte sich auch undurchdringlich über die Schneise, die die Bahnlinie in den Wald schlug. Und ich wusste, dass ich es diesmal nicht einfach zerreißen und hindurchgehen konnte, wie ich es in London getan hatte.
    Trotzdem trat ich, von einer morbiden Neugier gepackt, noch einen Schritt näher und besah mir das fürchterliche Gewebe genauer. Es ähnelte tatsächlich dem, das ich aus London kannte, aber es war nicht nur größer, sondern auch ungleich kunstfertiger geflochten. Und sehr viel dichter. Zwischen den einzelnen Fäden blieb kaum genug Platz, um eine Hand hindurchzustrecken, und hätte ich es nicht bereits geahnt, so hätte mir sein Anblick bewiesen, wie tödlich es war. Hier und da gewahrte ich kleine, unförmige Verdickungen in dem Gewebe, die sich bei näherem Hinsehen als die Körper kleiner Tiere erwiesen, die das Unglück gehabt hatten, das tödliche Netz zu berühren. Ich sah Vögel, Insekten, aber einmal auch ein pelziges Bündel von der Größe eines Hasen, das fast zur Gänze von dem schwarzen Gespinst eingewoben war und sich zum Teil bereits in glitzernde, übel riechende Feuchtigkeit aufgelöst hatte.
    Doch dies alles war nicht einmal das Schlimmste. Den größten Schock bereitete mir der Anblick des Waldes jenseits des Netzes. Es war ein ganz normaler Wald. Auch dort drüben lag buntes Laub auf dem Boden, das der Herbst von den Ästen gestreift hatte, aber dazwischen gewahrte ich Moos, Unkraut und Pilze, die südlichen Flanken der Baumstämme hatten ein grünes Polster und ihre Kronen waren dicht und grün und färbten das Sonnenlicht. Das Netz bildete nicht nur eine undurchdringliche Barriere, die nichts aus diesem Wald heraus- oder hineinließ, sondern auch die Grenze eines Bereiches, in dem das Leben bereits erloschen war.
    Schaudernd wandte ich mich ab, trat wieder ein paar Schritte zurück und ließ meinen Blick suchend über den Waldboden streifen. Ich entdeckte einen gut armlangen Stock, hob ihn auf und schleuderte ihn mit aller Kraft in das Netz.
    Das Ergebnis hätte mich nicht überraschen dürfen, denn es war genau das, womit ich gerechnet hatte – und trotzdem stöhnte ich vor Enttäuschung auf. Der Ast prallte gegen das Gewebe und
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