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Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Titel: Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sonderbare Hindernis genauer zu erkennen.
    Es waren Wurzeln; Wurzeln oder Ranken, dick mit schlammigem Erdreich verkrustet und ineinander verwachsen. Mit der Beharrlichkeit von Pflanzen hatten sie das Straßenpflaster an dieser Stelle gesprengt und sich mit anderen vereinigt, die vom Straßenrand herbeigewachsen waren. Das Rad hatte einen Teil der Masse durch sein pures Gewicht zerquetscht, aber die dünnen, zähen Ranken hatten sich in den Speichen verfangen und hielten sie wie eine vielfingrige, verknorpelte Hand fest. Prüfend zerrte ich an einer der Ranken, aber es gelang mir nicht einmal sie zu lockern, geschweige denn sie zu zerreißen.
    Howard murmelte sich irgendetwas in den Bart – vermutlich einen Fluch –, zauberte ein Taschenmesser hervor und begann mit verbissenem Gesichtsausdruck an einer der Ranken herumzusäbeln – mit äußerst mäßigem Erfolg.
    »Verdammt noch mal, was ist das für ein Zeug?«, murmelte ich. »Das ist doch nicht normal.«
    »Pflanzen«, antwortete Howard unwillig. »Irgendein Wurzelzeug. Der verdammte Regen hat doch hier alles aufgeweicht. Es würde mich nicht wundern, wenn die ganze Straße irgendwo abgesackt ist.« Er fluchte erneut, griff nach dem angeschnittenen Wurzelstrang und zerrte mit aller Kraft. Das Holz riss mit einem peitschenden Knall. Howard verlor durch den plötzlichen Ruck das Gleichgewicht, ruderte einen Moment hilflos mit den Armen und fiel hintenüber in den Matsch.
    Ich unterdrückte im letzten Moment ein schadenfrohes Lachen, half ihm auf die Füße und nahm ihm wortlos das Messer ab. Während Howard ebenso wütend wie vergeblich versuchte seine Kleider vom Schlamm und Morast zu reinigen, säbelte ich weiter an der seltsamen Pflanzenmasse herum. Es war beinahe aussichtslos. Die Wurzeln waren kaum stärker als mein kleiner Finger, einige nur fein wie Haar, aber es waren unglaublich viele; mit dem winzigen Taschenmesserchen würde ich Stunden brauchen, um das Rad zu befreien. Es war mir ein Rätsel, wie sich der Wagen in so kurzer Zeit derart gründlich hatte festfahren können. Es sah beinahe so aus, als wäre das Wurzelgeflecht um die Speichen herumgewachsen.
    Nach einer Weile begannen meine Muskeln vor Anstrengung zu schmerzen. Ich stand auf, ließ mich von Howard ablösen und bewegte Arme und Schultern, um meine verspannten Muskeln zu lockern. Eines der Pferde begann nervös auf der Stelle zu treten und zu wiehern.
    »Was ist mit den Tieren?«, fragte Howard, während er weiter mit seinem Messer in der verfilzten Masse herumstocherte. »Versuch sie zu beruhigen, Robert. Ich möchte nicht, dass sie durchgehen, während ich die Hand unter dem Rad habe.«
    Ich nickte, ging vorsichtig am Wagen vorbei nach vorne und legte dem Tier beruhigend die Hand auf die Nüstern.
    Es biss nach mir. Ich zog im letzten Moment die Hand zurück, verletzte mich aber dabei am Zaumzeug und zog mir einen langen, blutigen Riss auf dem Handrücken zu. Hastig sprang ich zurück, warf dem Pferd einen zornigen Blick zu und presste die Hand unter die Achselhöhle.
    »Ist es schlimm?«, fragte Miss Winden.
    »Nein. Es tut nur verdammt weh.«
    »Dann kommen Sie her«, sagte sie. »Ich habe ein bisschen Verbandszeug mitgenommen – sicherheitshalber.«
    Ich zögerte, aber Howard nickte nur zustimmend, und so ging ich – diesmal in respektvollem Abstand zu dem beißwütigen Gaul – um den Wagen herum und stieg neben Miss Winden auf den Kutschbock.
    »Zeigen Sie Ihre Hand«, verlangte sie.
    Ich streckte gehorsam die Hand aus und biss die Zähne zusammen, als sie begann, mit geschickten Bewegungen den Riss zu säubern und zu verbinden.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte sie. »Das Gespann gehört meinem Schwager und ich kenne die Tiere genau. Sie haben noch nie nach einem Menschen gebissen.«
    »Sie sind nervös«, antwortete ich. »Wenn ich nur wüsste, warum.«
    Miss Winden zog den Knoten um den improvisierten Verband fest zusammen, begutachtete ihr Werk einen Moment lang kritisch und nickte dann. »Das wird reichen«, sagte sie. »Wenn wir in Bettyhill sind, lassen Sie den Arzt danach sehen.«
    »Wenn wir überhaupt dort ankommen«, erwiderte ich düster. »Die Straße ist miserabel. Und dann dieses Pflanzenzeug … Wissen Sie, was das ist?«
    Sie verneinte. »Wir sind dicht am Waldrand«, sagte sie. »Vielleicht hat der Regen den Boden ausgespült und die Wurzeln zutage treten lassen. Aber komisch ist es schon. Unheimlich«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu. »Ich habe so
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