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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind
Autoren: Sabine Thiesler
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Ist das eine Überreaktion, wenn ich sage, ich will weg von einem Typen, der mich verprügelt?«
    Sie setzte sich dichter neben ihre Tochter, legte den Arm um ihre kleinen Schultern und hielt ihr die trommelnden Hände fest. Daraufhin sauste Elsa blitzschnell mit ihrem Kopf hinunter und biss ihre Mutter in die Hand. Sarah zuckte zurück und rieb sich die schmerzende Stelle. Elsas Milchzähne hatten einen blutigen Abdruck auf ihrem Handrücken hinterlassen.
    Elsa trommelte weiter. Als Sarah sah, dass ihre Eltern sie beobachteten, schämte sie sich und sagte schnell: »Nur ein paar Tage. Bitte. Ich finde bestimmt bald eine neue Wohnung.«
    Herbert stand auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, was Sarah nervös machte. »Gut. Lass Elsa hier. Zwei Wochen. Aber keinen Tag länger.«
    »Danke, Papa.«
    »Was hast du vor?«, fragte Herbert.
    »Ich weiß nicht, Papa, irgendwie nur noch einmal ganz von vorn anfangen.« Sarah flocht kleine Zöpfe in die Fransen der Tischdecke.

    »Ich sag dazu nichts«, meinte Sarahs Mutter.
    »Das ist auch besser so.« Herbert betrachtete seine Fingernägel und schob akribisch bei jedem Finger die Nagelhaut einen Millimeter zurück, was Sarah auf die Nerven ging.
    Gott sei Dank fing Elsa wieder an zu trommeln. Merkwürdigerweise entspannte dieses nervtötende Geräusch die Situation.
    Ohne einen weiteren Kommentar nahm Herbert die Fernbedienung in die Hand und knipste den Fernseher an. »Ich hab Hunger, Regine, machst du uns was zu essen?«
    »Natürlich.« Regine sprang sofort auf. »Du isst doch auch eine Kleinigkeit mit, Sarah?«
    »Nein, danke.« Sarah stand ebenfalls auf. »Ich fahre nach Hause. Ich muss noch packen.« Sie hauchte der trommelnden Elsa einen Luftkuss auf die Wange, winkte ihren Eltern zu, flötete: »Danke für alles!« und verließ das Haus.
     
    Auf der Rückfahrt überkam sie eine unbeschreibliche Wehmut. Sie fuhr langsamer und dachte an die Nacht an der Ostsee vor fünf Jahren, die ihr Leben verändert hatte. Auch damals hatte sie – mit schlafwandlerischer Sicherheit – alles falsch gemacht. Vielleicht war der Entschluss, Franky zu verlassen, die erste richtige Entscheidung in ihrem Leben.

Ostsee, 1983 – zweiundzwanzig Jahre vor Sarahs Tod
    7
    Der Zug hielt, die Türen öffneten sich, und Sarah quälte sich mit Koffer und Tasche aus dem Abteil. In diesem Moment gellte Katrins charakteristischer Begrüßungsschrei, eine Mischung aus Jodler und Jauchzer, über den Bahnsteig. Sekunden später kam sie angerannt, stürzte sich auf Sarah, umarmte sie stürmisch und küsste sie wie wild.
    »Hey, Süße!«, kreischte sie. »Du bist hier, du bist tatsächlich gekommen, ich kann es gar nicht glauben!«
    Katrin war eine kleine, pummelige Person mit einem wunderbar proportionierten Körper, sie hatte nur einfach fünfzehn Kilo zu viel. Dennoch tanzte sie mit dem Selbstbewusstsein einer Schönheitskönigin durchs Leben. »Die Männer merken gar nicht, ob du dick oder dünn bist«, hatte sie vor einiger Zeit zu Sarah gesagt und sich einen bombastischen Eisbecher bestellt, »du musst dich nur selber leiden können, dann finden sie dich umwerfend!«
    Im Sommer trug sie mit Vorliebe kurze enge Hosen oder extrem knappe Miniröcke, dazu am liebsten Schuhe mit Plateausohlen und verschiedenfarbige Socken, und wackelte mit dem Hintern wie Marilyn Monroe. Sie hatte es schon vor Jahren aufgegeben, nach dem Waschen Paare passender Strümpfe wieder zusammenzusuchen. Ein Fach ihres
Schrankes war daher mit Socken unterschiedlichster Farben und Muster vollgestopft, die sie beliebig und nach Lust und Laune kombinierte. Ebenso maß- und sorglos behängte sie sich mit Ketten, Ringen, Armbändern und Ohrringen, und wenn sie nicht gerade redete, hörte man es am Klirren des Schmuckes, dass sie in der Nähe war.
    »Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?«, fragte Sarah entsetzt. Sie war es gewohnt, dass Katrin jede Woche eine andere Haarfarbe hatte, aber ein derartig schrilles Orange hatte sie noch nie an ihr gesehen.
    »Ich hab ein bisschen experimentiert«, grinste Katrin, »und das ist eben auch ein bisschen in die Hose gegangen. Aber ich find’s rasend sexy, Franky stört’s nicht, und das ist ja das Wichtigste. Franky ist so ein Süßer, sag ich dir, ein echter Schatz, na, du wirst ihn kennenlernen. Er macht den ganzen Tag Musik und erfindet neue Melodien. Du, ich bin so verknallt in ihn, es ist einfach nicht auszuhalten. Aber du siehst auch toll aus, Schatz! Und so
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