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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind
Autoren: Sabine Thiesler
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zerbrach, die Scherben fielen auf die Auslegware, und die Aprikosen rutschten samt klebrig-süßer Soße an der indirekt gemusterten, hellen Tapete hinunter.
    »Was soll denn das?«, brüllte Sarah und gab Elsa einen Schlag auf den Hinterkopf, wodurch das übliche Geschrei ausgelöst wurde.
    »Das hast du nun davon«, polterte Herbert und sah seine Frau wütend an. »Warum kommst du auch mit diesem dämlichen Kompott? Das Kind wollte nichts!«
    »Also bin ich jetzt schuld?«, empörte sich Regine und rannte in die Küche, um einen Lappen zu holen und den Schaden an der Tapete wenigstens zu begrenzen.
    »Na wer denn sonst?«, meinte Herbert und zündete seine Pfeife an.
    Als Regine mit dem Lappen wiederkam, heulte sie bereits.
    »Okay, machen wir’s kurz. Bitte, Mutter, setz dich einen
Moment hin. Lass doch das Kompott. Das machen wir nachher weg.« Sarah versuchte ihrer Stimme einen gelassenen Klang zu geben und trotzdem das Gebrüll zu übertönen.
    Regine rieb sich mit dem Kompottlappen die vom Weinen geröteten Augen, warf ihrem Mann noch einen hasserfüllten Blick zu und setzte sich.
    Sarah schluckte. Blöder hätte es nicht laufen können, es war im Grunde Wahnsinn, jetzt in dieser Situation ihre Bitte zu formulieren, aber sie tat es trotzdem. Sie konnte nicht zwei Stunden warten, in dieser Zeit konnten noch viel schrecklichere Dinge geschehen.
    »Es tut mir echt leid«, meinte Sarah. »Aber ich wollte euch bitten, Elsa ein paar Tage zu euch zu nehmen. Ich ziehe bei Franky aus, das heißt, ich bin eigentlich heute schon ausgezogen. Ich muss mir eine neue Wohnung suchen, ich muss umziehen, renovieren, was weiß ich. Das schaffe ich nicht, wenn ich Elsa den ganzen Tag bei mir habe.«
    »Ach du lieber Himmel!«, meinte Regine und machte ein derart entsetztes Gesicht, als sei sie die Verlassene. »Wie kommst du denn auf die Idee?«
    »Das weißt du doch«, erwiderte Sarah genervt. »Ich hab es dir tausendmal erzählt. Gestern hat er mich wieder zusammengeschlagen. Jetzt reicht es. Ich halte es nicht mehr aus.«
    Regine drückte entsetzt eine Hand vor den Mund. »Franky, gerade Franky«, murmelte sie leise. »Ach Gott, das tut mir aber leid.«
    »Elsa kann nicht hierbleiben«, sagte Sarahs Vater leise aber sehr bestimmt. »Ich halte auch so manches nicht aus. Zum Beispiel Elsas Geschrei. Es macht mich krank, und es
macht mich aggressiv. Ich bin keine zwanzig mehr und kann damit nicht umgehen. Ich möchte meine Ruhe haben.«
    »Aber Herbert!«, empörte sich Regine schon wieder. »Was redest du denn da? Schließlich ist Elsa dein Enkelkind, und wenn unsere Tochter unsere Hilfe braucht, dann ist es doch gar keine Frage, dass wir zur Verfügung stehen!« Sie wandte sich Sarah zu. »Natürlich kannst du Elsa hierlassen. Solange du willst. Meinetwegen gleich, wenn du willst.«
    Elsa brüllte immer noch.
    »Ohne mich«, brüllte jetzt auch Herbert. »Wenn dieses Kind hier im Haus ist, ziehe ich aus. Dieses Geschrei ist unerträglich, und niemand kann von mir verlangen, das auszuhalten. In meinem eigenen Hause!«
    Regine machte eine beschwichtigende Handbewegung in Richtung Sarah, als wollte sie sagen, ›lass ihn, nimm nicht so ernst, was er sagt, wenn er sich beruhigt hat, hat er nichts mehr dagegen, im Endeffekt macht er ja doch immer, was ich will‹.
    Aber Sarah blieb skeptisch. Sie wusste nicht mehr, was sie machen sollte. Konnte sie Elsa wirklich hierlassen oder lieber nicht?
    Regine stand auf und ging in die Küche.
    »Bring mir eine Flasche Wasser mit!«, schrie ihr Herbert hinterher.
    Regine kam kurz darauf mit einer Flasche Wasser und zwei Kochlöffeln wieder, die sie Elsa in die Hand drückte. Sie hörte auf zu schreien, schlug aber dafür jetzt ohne Pause mit den Kochlöffeln auf die Tischplatte.
    Herbert öffnete das Wasser und ließ es ins Glas laufen. »Franky ist im Grunde ein guter Junge. Wahrscheinlich hat er im Moment einfach ein paar Probleme.«

    »Wie schön, dass ihr das so gut beurteilen könnt!« Sarah war kurz davor zu verzweifeln.
    Regine schloss sich sofort Herberts Meinung an. »Kind«, sagte sie, »du darfst jetzt nichts übereilen. Ich weiß ja nicht, was vorgefallen ist, aber Streit gibt es überall mal. Das kommt in den besten Familien vor, wie man so schön sagt. Du solltest das nicht überbewerten und vor allem nicht gleich überreagieren. Überleg dir gut, ob du Franky wirklich verlassen willst. Schließlich ist er Elsas Vater!«
    Sarah wurde wütend. »Guck mich an, wie ich aussehe!
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