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Heute schon geträumt

Heute schon geträumt

Titel: Heute schon geträumt
Autoren: Alexandra Potter
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muss. Ich habe keine Lust, zu spät zu kommen.
    Dann fällt mein Blick auf ein Schild, das mir jeden Mut raubt. BAUSTELLE: UMLEITUNGSSCHILDERN FOLGEN. Genau das hat mir noch gefehlt. Jetzt kann ich es endgültig vergessen.
    Verärgert folge ich den Autos, die sich in die andere Fahrbahn schlängeln, und krieche an den leuchtend orangefarbenen Baustellenkegeln vorbei. Geht es vielleicht noch langsamer? Ich sehe auf den Tacho. Ich fahre nicht mal zehn Stundenkilometer? Wenn es so weitergeht, bin ich frühestens um … Ich versuche, im Kopf nachzurechnen, wie lange ich für den Weg ins Büro brauche. Oh Gott, ich habe keine Ahnung, aber es wird eine Ewigkeit dauern.
    Mit geradezu schmerzhafter Langsamkeit windet sich die Verkehrsschlange durch diverse Seitenstraßen, ehe ich endlich die Hauptstraße vor mir zu sehen glaube. Hoffentlich ist dies das Ende der Umleitung. Ich sehe eine Ampel. Sie ist grün. Los, macht schon, los. Die Autos vor mir fahren weiter.
    Ich krieche vorwärts, Stoßstange an Stoßstange. Die Ampel wird gelb. Ich quetsche mich darüber.
    Und rot.
    Hmmmpfff.
    Ich bleibe stehen. Mit wachsender Anspannung sitze ich hinterm Steuer. Okay, Charlotte, entspann dich, ermahne ich mich streng. Die Nerven zu verlieren bringt dich auch nicht schneller voran, oder? Mach einfach ein paar Atemübungen zur Entspannung. So wie im Yoga. Ich schließe die Augen, blähe die Nüstern und hole tief Luft. Ein.Aus. Ein.Aus. Ein.
    Ach, verdammt. Ich öffne die Augen. Tja, tut mir leid, Shivanyandra oder wie du auch immer heißen magst, aber das bringt nichts. Ich werde Bea anrufen und bitten müssen, meine Termine zu verlegen. In einer Viertelstunde sollte ich in einer Besprechung sitzen.Verzweifelt zücke ich mein BlackBerry, doch gerade als ich denke, dass es nicht schlimmer werden kann -
    Kein Netz.
    Toll. Ganz, ganz toll. Und was soll ich jetzt machen?
    Wütend knalle ich es auf den Sitz und sehe wieder zur  Ampel hoch. Immer noch rot. Das muss die langsamste Ampel aller Zeiten sein. Ich lasse den Blick über die Straße wandern und nehme meine Umgebung wahr - der Zeitungsverkäufer an der Ecke, Leute, die auf den Bus warten, ein heruntergekommenes Sonnenstudio, das aussieht, als stünde es schon seit Jahren dort. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, tut es das auch, glaube ich.
    Erst jetzt fällt mir auf, wo ich bin. Nach meinem Umzug nach London bin ich diese Straße auf dem Weg ins Büro entlanggefahren, nur dass ich damals in die entgegengesetzte Richtung musste.Wie lange mag es wohl her sein, seit ich das letzte Mal hier war? Es war mein erster Job, und ich war gerade einmal einundzwanzig. Gott, es ist, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Das Leben eines ganz anderen Menschen.
    Während ich darüber nachdenke, wandert mein Blick über die Kreuzung. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn stehen einige wartende Autos, darunter ein alter Käfer, so wie der, den ich damals gefahren habe. Wie lustig. Er sieht fast genauso aus wie meiner. Dasselbe wilde Orange, der Kühlergrill und die rostigen Scheinwerfer. Sogar derselbe halb abgelöste WWF-Sticker an der Windschutzscheibe, wie meiner damals. Ich mustere die Fahrerin.
    Oh Gott, sie sieht fast so aus wie ich.
    Wie ich mit einundzwanzig!
    Sie singt zu einem Stück aus dem Radio und zerzaust ihr dunkles, lockiges Haar im Rückspiegel, wie ich es immer getan habe. Und das rot-weiße T-Shirt, das sie anhat, sieht aus wie eines, das ich früher immer so gern getragen habe.
    Verblüfft starre ich sie an, als die Ampel auf Grün springt und der VW Käfer auf mich zukommt.
    Beeeeeeeeeppppp.
    Das Tuten einer Hupe reißt mich aus meiner Benommenheit. Erschrocken drücke ich das Gaspedal durch und würge prompt den Motor ab.Verdammt. Errötend will ich ihn wieder anlassen, nur scheinen mir meine Finger auf einmal nicht zu gehorchen. Ich fummle am Zündschloss herum, bis der Wagen heulend zum Leben erwacht.
    Mit quietschenden Reifen - wie peinlich! - presche ich über die Ampel. Meine Gedanken überschlagen sich. Ich kann nicht glauben, wie ähnlich mir dieses Mädchen gesehen hat, als ich noch jünger war. Die Ähnlichkeit war frappierend. Ich bekomme eine Gänsehaut auf den Armen und erschaudere leicht. Gott, wie schräg …
    Ich komme mir wie eine Idiotin vor, als ich die Finger um den Nasenrücken lege und einen tiefen, langen Atemzug nehme, während ich die Anspannung in meinen Schultern spüre. Ich bin nicht verrückt, sondern nur ein bisschen müde und angespannt,
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