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Heute schon geträumt

Heute schon geträumt

Titel: Heute schon geträumt
Autoren: Alexandra Potter
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nicht am Amazonas unterwegs«, wie mein Hausarzt es formulierte, trotzdem brauchte er ja nicht gleich pampig zu werden. Er schickte mich nicht mal ins Tropeninstitut, sondern meinte, es sei wahrscheinlich mein gewohntes Ekzem, das ich mit juckreizhemmender Salbe einreiben sollte.
    Was ich tat, und der Ausschlag ging auch tatsächlich weg, aber trotzdem hätte es von diesem fleischfressenden Käfer stammen können.
    Ich schultere meine Taschen, lege das Geld für die Putzfrau auf den Dielentisch und stürze zur Tür hinaus. Und stürze wieder zurück, weil mich die grelle Sonne blendet.
    Sonnenbrille? Mein Blick schweift über den Dielentisch, auf dem eine Lampe steht, daneben eine weiße Orchidee und mehrere gerahmte Fotos, darunter eines von meiner Abschlussfeier. Mum und Dad stehen neben mir, ganz die stolzen Eltern. Eigentlich sahen sie damals nicht wesentlich anders aus als heute, nur hatte Dad noch ein wenig mehr Haare, und Mum durchlebte gerade ihre Perlmuttlippenstiftphase, während ich kaum wiederzuerkennen bin. Ich trage den traditionellen schwarzen Talar, und das Barett thront gefährlich schwankend auf meinem Haar, das lang, dunkel und bauschig geföhnt ist. Ganz anders als heute, wo es zu einem stumpfen Bob geschnitten und aalglatt geföhnt und alle sechs Wochen honigblond gefärbt wird.
    Das Foto stammt aus der Zeit, bevor ich die Pinzette für mich entdeckt habe, so dass zwei dicke schwarze Balken dort prangen, wo sich heute perfekt geschwungene Brauen befinden. Und dieses Grinsen! Ich mustere meine Frontzähne mit der Lücke dazwischen, die dank der Zahnspange in den Zwanzigern mittlerweile kerzengerade sind. Gott, damals habe ich so ganz anders ausgesehen als heute.
    In diesem Moment entdecke ich meine Sonnenbrille hinter den Fotos. Ich setze sie auf und haste wieder hinaus, die Treppe hinunter und zu meinem VW Beetle. Die Blinker flammen auf, als ich die Fernbedienung drücke und die Tür aufreiße.Verdammt, schon wieder ein Strafzettel. Fluchend zerre ich ihn unter dem Scheibenwischer hervor und gleite auf den butterweichen, cremefarbenen Lederfahrersitz. Den Strafzettel stopfe ich in die Ablage zu all den anderen Strafzetteln, lasse die Zündung an und lege den Rückwärtsgang ein. Der Motor erwacht dröhnend zum Leben.
    Gott, ich liebe diesen Wagen. Er hat einiges unter der Haube, und dazu all diese kleinen Extras wie Sitzheizung, Satellitennavigation und ein Armaturenbrett, das nachts wie ein Cockpit beleuchtet ist. An dem Tag, als ich ihn bekommen habe, war ich außer mir vor Begeisterung. Ich weiß noch, wie ich ihn angesehen habe, als er schimmernd und glänzend und brandneu vor meiner Tür stand. Ich konnte nicht glauben, dass er tatsächlich mir gehört.
    Aber um die Wahrheit zu sagen, macht er heute nur halb so viel Spaß, wie ich dachte, denn in London kann man kaum schneller als vierzig Stundenkilometer fahren. Ich fahre aus meiner Parklücke und stehe nahezu augenblicklich im Stau.
    Wahrscheinlich würde es mit der U-Bahn erheblich schneller gehen.
    Mein BlackBerry meldet sich mit einem schrillen Läuten. Ich sehe auf die Uhr am Armaturenbrett - noch nicht mal acht Uhr.
    »Hallo, Merryweather PR... Ah, wie schön, von Ihnen zu hören.Also, wegen des Vertrags...« Ich setze mein Headset auf und lege los.
     Zwanzig Minuten danach bin ich schon zu spät dran. Der Verkehr ist grauenhaft, noch schlimmer als sonst. Alles nur wegen der Olympischen Spiele. Die Stadt hat riesige Bauprojekte gestartet und angefangen, in Vorbereitung für 2012 sämtliche alten Gebäude abzureißen. Laut Aussage der Zeitungen ist es das größte Bauprojekt aller Zeiten, und leider beschränkt es sich nicht auf das East End, sondern allem Anschein nach wird die ganze Stadt auf Vordermann gebracht. Es gibt sogar Pläne, ein tolles, hochmodernes Stadion in der Nähe meines Büros zu errichten, so dass im Moment tonnenweise Erde ausgehoben wird, um das Fundament errichten zu können. »Ein bauplanerisches Meisterwerk« nannte es der Evening Standard.
    Eine riesige, nervtötende Grube im Erdboden, wegen der ich zu spät ins Büro komme - so lautet meine Bezeichnung dafür, denke ich, als ich mich wutschnaubend immer noch im Schneckentempo vorwärtsbewege. Entnervt trommle ich mit den Fingern aufs Lenkrad und spüre beim Blick auf die Uhr den gewohnten Knoten in der Magengegend.Verdammt. Im Geiste gehe ich meinen Kalender durch. Ich habe eine arbeitsreiche Woche vor mir und jede Menge, was heute Vormittag erledigt werden
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