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Herzschlag der Nacht

Herzschlag der Nacht

Titel: Herzschlag der Nacht
Autoren: Lisa Kleypas
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Elend.
    Ihre Finger glitten in die Tasche ihres Kleids und berührten Christopher Phelans Brief. Allein das Pergament zu spüren, das er gefaltet hatte, bewirkte, dass sich ihr Bauch unter einem warmen, wohligen Schauer zusammenzog.
    »Du bist in letzter Zeit sehr still«, sagte Amelia und musterte Beatrix mit ihren blauen Augen. »Und du siehst aus, als hättest du geweint. Hast du Kummer, meine Liebe?«
    Beatrix zuckte mit den Schultern. »Ich bin wohl nur melancholisch, weil Mr. Phelan so krank ist. Wie Audrey sagt, hat sich sein Zustand verschlechtert.«
    »Oh …« Amelia sah sie sorgenvoll an. »Ich wünschte, wir könnten etwas tun. Wenn ich einen Korb mit Pflaumenschnaps und Mandelpudding packe, würdest du ihn hinbringen?«
    »Natürlich. Ich gehe ohnedies am späteren Nachmittag zu ihnen.«
    Beatrix zog sich in ihr Zimmer zurück, setzte sich an den Sekretär und holte den Brief hervor. Sie würde Christopher ein letztes Mal schreiben, unpersönlicher. Es sollte ein behutsamer Rückzug werden.
    Sorgfältig drehte sie das Tintenfass auf, tauchte die Feder hinein und begann zu schreiben.
    Lieber Christopher,
    so sehr ich Sie, teurer Freund, auch schätze, wäre es für uns beide nicht klug, den Dingen vorzugreifen, während Sie fort sind. Seien Sie meiner innigsten Wünsche für Ihr Wohlergehen und Ihre Unversehrtheit versichert. Dennoch halte ich es für das Beste, keine persönlicheren Gefühle zwischen uns mehr anzusprechen, bis Sie zurück sind. Vielmehr scheint es mir geraten, dass wir unsere Korrespondenz beenden …
    Mit jedem Satz wurde es schwieriger, ihre Hand ruhig zu bewegen. Die Feder zitterte in ihren Fingern, und aufs Neue kamen ihr die Tränen. »Unsinn«, sagte sie.
    Es bereitete ihr körperlichen Schmerz, solche Lügen zu schreiben, und ihr wurde die Kehle so eng, dass sie kaum noch atmen konnte.
    Sie beschloss, dass sie die Wahrheit schreiben musste, ehe sie endete. Ja, sie würde jenen Brief schreiben, den zu verfassen sie sich sehnlichst wünschte, und ihn dann zerreißen.
    Angestrengt atmend nahm Beatrix ein neues Blatt und schrieb eilig einige Zeilen, die einzig für ihre Augen bestimmt waren, in der Hoffnung, sie würden den beklemmenden Schmerz in ihrer Brust lindern.
    Liebster Christopher,
    ich darf Ihnen nie wieder schreiben, bin ich doch nicht die, für die Sie mich halten.
    Wiewohl es nie meine Absicht war, Ihnen Liebesbriefe zu senden, wurden meine Worte doch zu selbigen. Auf ihrem Weg zu Ihnen wandelten sich meine Worte zu papiernen Herzenswünschen.
    Bitte, kommen Sie heim und suchen Sie nach mir.
    Die Zeilen verschwammen vor Beatrix’ Augen. Sie legte das Blatt beiseite, wandte sich wieder dem eigentlichen Brief zu und beendete ihn mit den besten Wünschen und Gebeten für seine sichere Heimkehr.
    Den Liebesbrief knüllte sie zusammen und steckte ihn in die Schublade. Abends würde sie ihn in einer kleinen Zeremonie verbrennen und zuschauen, wie die tief empfundenen Worte zu Asche zerfielen.

Kapitel 4
    S päter am Nachmittag ging Beatrix zum Phelan-Anwesen. Sie hatte einen großen Korb mit Brandy, Mandelpudding, einem milden hellen Käse nebst einem kleinen »schlichten Kuchen« ohne Füllung oder Glasur und nur wenig süß bei sich. Ob die Phelans diese Dinge brauchten, war nicht halb so wichtig wie die Geste an sich.
    Amelia hatte Beatrix gedrängt, eine Kutsche oder einen kleinen Pferdewagen zu nehmen, weil der Korb recht schwer war. Doch Beatrix wollte lieber zu Fuß gehen, denn sie hoffte, dass die Anstrengung half, ihr unruhiges Gemüt zu besänftigen. Sie ging schnell und sog die Frühsommerluft tief ein. Dies ist der Geruch des Junis , wollte sie an Christopher schreiben, Geißblatt, grünes Heu, feuchtes Leinen, das zum Trocknen aufgehängt wurde …
    Bis sie ihr Ziel erreichte, taten ihr beide Arme vom Tragen weh.
    Das Haus mit den dichten Efeuranken an sämtlichen Mauern erinnerte an einen Mann, der in einen großen Mantel gehüllt war. Eine unangenehme Vorahnung überkam Beatrix, als sie zur Haustür ging und klopfte. Ein Butler mit sehr ernstem Gesicht ließ sie herein, nahm ihr den Korb ab und führte sie in den Empfangssalon.
    Wieder einmal kam ihr das Haus überhitzt vor, besonders nach dem Fußmarsch. Beatrix spürte, wie ihr unter den Schichten ihres Ausgehkleides und in den festen Knöchelstiefeln der Schweiß ausbrach.
    Audrey betrat den Salon, schmal und ungekämmt, das Haar halb aufgesteckt, halb lose herunterhängend. Sie hatte eine Schürze
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