HERZ HINTER DORNEN
taube Ohren. Es hatte den Anschein, als wollte Roselynne mit ihrem ganzen Willen die Geburt aufhalten. Sie war nicht mehr fähig, die Gefahr zu erkennen oder nützliche Ratschläge zu befolgen. Sie reagierte instinktiv, von der eigenen Angst getrieben.
Sophia-Rose tauschte einen Blick mit Roselynnes Kammerfrau Maud und der tüchtigen Wehmutter, die auf Befehl ihrer Großmutter schon seit Tagen im Haus wohnte, damit sie nicht erst geholt werden musste. Doch trotz aller Vorsicht hatte keiner von ihnen verhindern können, dass die Geburt zu früh und mitten in einer stürmischen Auseinandersetzung mit Lord Hawkstone eingesetzt hatte.
Die Wehmutter hatte es befürchtet und der erschöpften Schwangeren jede Aufregung und jede Anstrengung streng verboten. Aber davon hatte der Lord nichts wissen können, als er in das Haus geplatzt war, um seine wieder gefundene Tochter in die Arme zu schließen. Die pralle Wölbung ihres hochschwangeren Leibes hatte ihn dabei ebenso unvorbereitet getroffen wie zuvor ihre Mutter und ihre Schwester.
»Das sieht wahrhaftig nicht gut aus, wir sollten beten«, hatte die Hebamme verkündet, als die Wöchnerin endlich in ihrem Alkoven lag, und Lady Liliana hatte sich dem Urteil nur anschließen können. Was immer Geld und Einfluss, Wissen und Können für eine Gebärende tun konnten, stand bereit, aber wenn Roselynne sich weiterhin so hartnäckig dagegen stemmte, dass ihr Kind das Licht der Welt erblickte, würden beide noch diese Nacht sterben!
Sophia-Rose drehte sich nicht um, als die Kammertür hinter ihr aufging. Sie hörte das Rascheln eines Gewandes und das Stöhnen eines Mannes. Ihre Mutter. Der Medicus ...? Jetzt fuhr sie doch herum.
»Justin ...«
Die beiden Silben erstarben auf ihren Lippen. War er es denn überhaupt? Auf den zweiten Blick kamen ihr Zweifel. Sie hatte sich vor Jahren von einem Edelmann getrennt, der in seinem Stolz verletzt und in seiner Männlichkeit gekränkt worden war. Aber sogar in dieser Situation hatte er eine unzerstörbar faszinierende Ausstrahlung von Eleganz und Wohlerzogenheit besessen. Das blendende Aussehen eines hoch gewachsenen, blonden Normannen, dessen nordisches Erbteil über Generationen edelsten Blutes kultiviert und verfeinert worden war.
Der Justin von heute glich einem tollkühnen Wegelagerer mit scharfen Zügen und hässlichen Kriegswunden. Seine Kleider sahen aus, als hätte er sie seit Tagen nicht gewechselt. Er stank nach saurem Wein und üblen Kneipendünsten, wie der geringste Soldat. Seine schönen silberblonden Haare klebten verschwitzt und nachlässig zurückgestrichen an den Schläfen. Nicht einmal die unvergessenen kristallklaren Augen waren die gleichen geblieben. Früher hatten sie amüsiert gefunkelt, ein wenig spöttisch und überheblich, aber mit einem Strahlen, das Sophia-Rose von Anfang an fasziniert hatte.
Erst heute wusste sie, dass dieses Strahlen kalt und sehr selbstsüchtig gewesen war. Das Leben hatte sie gelehrt, mehr zu sehen, als ein 18-jähriges Mädchen entdeckte, wenn es zum ersten Mal geschickt umworben und verehrt wurde. Deswegen sah sie jetzt auch das Unglück in seinen hellen Augen. Erbärmliche Angst, die keine Zeit für Dinge ließ, die sich außerhalb dieses Alkovens abspielten. Seine Wahrnehmung war so ausschließlich auf Roselynne gerichtet, dass Sophia-Rose nicht mehr als ein verschwommener Umriss für ihn blieb. Er stürzte neben Roselynnes Lager auf die Knie, die Stirn auf die Kante des Bettes gelegt, und wagte nicht einmal, nach ihrer Hand zu fassen.
Sophia-Rose sah zu ihrer Mutter, welche die Tür nachdrücklich schloss und die stumme Frage leise beantwortete. »Ich weiß nicht, wo er herkommt. Er ist ins Haus gestürzt, und ich konnte eben noch verhindern, dass euer Vater das Problem auf seine männlich undiplomatische Weise mit dem Schwert löst. Wie es scheint, wusste er nichts davon, dass sie sein Kind erwartet.«
»Roselynne, Mylady ...« Die Stimme des Normannen jagte beiden Frauen einen eisigen Schauer über den Rücken.
Lady Liliana trat an den Alkoven und legte eine Hand auf seine Schulter. »Ich fürchte, sie hört Euch nicht. Aber sprecht trotzdem mit ihr, vielleicht dringt Eure Stimme irgendwann zu ihr durch. Sie muss aufhören, um dieses Kind zu kämpfen. Sie hat Angst, dass es zu früh ist und dass es nicht am Leben bleibt. Freilich wird sie auf diese Weise dafür sorgen, dass es schon in ihrem Leib stirbt und sie mit vergiftet. Könnt Ihr mir sagen, wann ...« Sie brach ab,
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