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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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eingegangen. Darüber würde er gern mehr erfahren. Das der andern, gab Z. zur Antwort, störe ihn nicht. Persönlich ziehe er Bares vor. Man könne es in die Tasche stecken; es sei zwar schmutzig, aber diskret; man sehe ihm sofort an, ob es für den Moment ausreiche; außerdem falle es einem schon deshalb nicht zur Last, weil es ganz von selbst verschwinde. Geld sei wieMist, es tauge nur, wenn man es verteile. Das habe schon Francis Bacon vor vierhundert Jahren gewußt.
    Der Fragesteller ließ sich davon nicht überzeugen und ging nach Hause.

56 Jeder von uns sei auf seine Weise asozial, behauptete Z. »Den einen stört die Musik seines Nachbarn; der andere hat keine Lust, sich in eine Einheitsfront einzureihen; der Geizige läßt andere für sich zahlen; wer nüchtern bleiben will, ist beim Besäufnis fehl am Platz; der Unpünktliche läßt seine Mitmenschen auf sich warten, und als Spielverderber stellt sich ins Abseits, wer nicht verlieren kann. Als Affront gilt es schon, wenn einer sich damit brüstet, daß er vom Fußball nichts verstehe. Kurzum, mit der Solidarität ist es nicht so weit her, wie ihre Beschwörer meinen.«

57 Als Romancier hätte er keine Chance, sagte Z. Dazu fehle es ihm nicht nur an Geduld und Talent, auch sein Interesse für Ehekrisen, Ehebrüche und Scheidungensei rasch erschöpft. Nicht einmal mit einer unglücklichen Kindheit könne er aufwarten.

58 Z. sagte: »Um Vertrauen buhlt nur, wer es am wenigsten verdient. Das Geschäftsmodell einer Bank beruht darauf, daß sie ihren Kunden mißtraut. Umgekehrt sollten Sparer, Kreditnehmer und Anleger es genauso halten. Wenn ein solches Institut mit dem ›grünen Band der Sympathie‹ oder mit ›Leistung aus Leidenschaft‹ wirbt, verdient es, von seinen Konkurrenten geschluckt zu werden; denn der Zweck von Geldgeschäften besteht nicht darin, eine angenehme Atmosphäre zu erzeugen oder sich Erregungszuständen hinzugeben; das einzige Ziel einer Bank ist es, Gewinne zu erzielen.«
    Überhaupt sei, wer sein Vertrauen einer Institution schenke, selber schuld, gleichgültig, ob es sich um Aktiengesellschaften, Parteien oder Behörden handle. Man könne es nur einzelnen Menschen entgegenbringen, besonders dann, wenn sie es nicht einfordern. Wer soviel Zutrauen nicht aufbringe, weil er fürchtet, enttäuscht zu werden, der sei allerdings arm dran.

59 »Viele, die sich für aufgeklärt halten«, sagte Z., »schreiben den Dünkel altertümlichen Gesellschaftsformen zu, so als wäre er ein Charakteristikum des Adels. Weit gefehlt! Die Hochnäsigkeit stirbt nie aus. Sie hängt nicht davon ab, welcher Klasse sich jemand zurechnet.
    Verächtlich blickt jeder Eingeweihte auf alle herab, die seine Kennerschaft nicht teilen, ganz egal, ob sie die falsche Pop-Gruppe verehren, zu mißbilligende Klamotten tragen oder dem Trend hinterherhinken. Besonders zeichnen sich die Bewohner des Internets durch ihren Dünkel aus. Sie fühlen sich überlegen, wenn sie Zeitgenossen begegnen, die nicht auf dem neuesten Stand der Technik sind. Das seien Leute, die ihr Leben nicht hinreichend digitalisiert hätten und noch in der ›Kohlenstoffwelt‹ lebten. Auch wenn ihnen dieses alte Wort nicht über die Lippen kommen würde, finden siewohl, ein derart zurückgebliebenes Verhalten sei nicht standesgemäß.«

60 Ein knochiger Mann, der wahrscheinlich selbst einem Lehrkörper, vielleicht sogar der soziologischen Fakultät angehörte, warf Z. vor, daß er zum Dozieren neige.
    »Das will ich nicht hoffen«, war die Antwort. Er habe sich immer vor Lehranstalten gehütet. Besonders ermüdend finde er die Universitäten. Dort gebe es immerzu Sitzungen. Auch werde, wer dort zu Hause sei, von Reformen gepeinigt und schlecht bezahlt. Er, Z., sei nicht nur als Administrator völlig ungeeignet. Er verstehe auch die Begierde nicht, einen Titel zu führen, um dessentwillen sich so viele verdiente Frauen und Männer mutwillig ins Unglück gestürzt hätten.

61 Der nächste, der das Wort ergriff, beschwerte sich über Z.s Gelassenheit. Offenbar sei ihm alles egal. Z. räumte ein, daß er es vermeide, sich über jeden Dreck aufzuregen. Zorn, Wut und Empörung seien kostbare Ressourcen, die es zu schonen gelte.Die Wut gehe zwar rasch vorbei, verbrauche jedoch viel Energie. Auch der Zorn sei nicht unbegrenzt haltbar. Die Empörung hingegen wirke langfristig. Sie dürfe nicht auf unbedeutende Anlässe verschwendet werden.
    Ganz anders verhalte es sich mit dem Ärger, den er dem Alltag
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