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Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)

Titel: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Man solle weniger lesen, sagte Z. mürrisch. Das sei eine schlechte Gewohnheit und ebenso schädlich für die Gesundheit wie der Tabak. »Hätte ich selber nachgedacht, statt Bücher oder gar Zeitungen in die Hand zu nehmen«, fuhr er fort, »so wäre ich vermutlich gescheiter geworden.«

34 Wenn, was zum Glück selten vorkam, ein Pulk von japanischen Touristen oder eine Horde von keuchenden Sportlern auftauchte und drohte, sich bei uns niederzulassen, legte Z. jedesmal eine Pause ein und zündete sich schweigend einen seiner stinkenden Zigarillos an, was die Eindringlinge mißbilligten. Erst als wir wieder unter uns waren, setzten wir unsere Unterhaltungen fort.

35 Zuwenig, sagte Z., werde der Blödsinn der Dichter gewürdigt, der immer wieder bemerkenswerte Früchte getragen habe. So bleibe es schleierhaft, was der junge Rimbaud uns sagen wollte, als er verkündete: »Il faut être absolument moderne.« Vor dieser Forderung könne er nur warnen. Sie gewinne auch nicht dadurch, daß man die Moderne mit einer Vorsilbe wie »Post« aufpäppelt oder als die Zweite, Dritte usw. numeriert. Immer schwinge da die lächerliche Vorstellung mit, man wäre als Zeitgenosse intelligenter, tüchtiger, mit einem Wort: einfach weiter als jene Vorfahren, denen wir das Feuer, das Bett, den Schuh, die Astronomie und die Götter verdanken.

36 Das, worauf es einem ganz besonders ankomme, sagte Z., sollte man beiläufig äußern.

37 Z. bedauerte, daß es den meisten Menschen, wenn sie sich aufregten, an Einfällen gebreche. Ihren Injurien fehle es daher an Durchschlagskraft. »In der Beschimpfung«,fuhr er fort, »zeigt sich erst der Meister. Wenn Karl Marx seinen Widersacher Bakunin einen Mohammed ohne Koran nennt, zeugt das nicht nur von Abneigung, sondern vor allem von Klarsicht.«
    Übertroffen habe ihn darin nur der begnadete Griesgram Schopenhauer. Zur Höchstform sei er aufgelaufen, als er sich über Fichte äußerte:
    »Er hat Sachen gesagt, die mir den Wunsch auspreßten, ihm eine Pistole auf die Brust sezzen zu dürfen und dann zu sagen: Sterben mußt du jetzt ohne Gnade; aber um deiner armen Seele willen, sage ob du dir bey dem Gallimathias etwas deutliches gedacht oder uns blos zu Narren gehabt hast.«

38 Z. riet uns: »Wenn jemand es darauf anlegt, euch zu provozieren, begegnet ihm mit zermalmender Ruhe. Der Wichtigtuer wartet nur darauf, daß ihr ihn zurückweist. Er möchte sich an eurem Widerspruch mästen.«

39 »Wer einen Guru nötig hat, ist hier fehl am Platz«, sagte Z. »Sollte irgend jemand an meinen Lippen hängen, so möge er bedenken, daß es zu Hause auch schön ist. Wer schläft, braucht keine Unterhaltung.«

40 Z. bemerkte, man könne in den Studios, die überall aus dem Boden schießen, Gitarre spielen, sich einen Sonnenbrand zuziehen, zentnerschwere Gewichte stemmen, Nägel und Haare schneiden lassen, Filme drehen oder sich einer Thai-Massage hingeben. Als Störenfried fiele dort nur jemand auf, der studieren wollte.

41 »Wer darüber nachsinnt, was er alles falsch machen könnte, ist nicht zu beneiden. Denn die Zahl der Fehler, die einem zur Verfügung stehen, ist im Prinzip unbegrenzt, während sich die richtigen Optionen an den Fingern abzählen lassen. Die Wahrscheinlichkeit spricht also dafür, daß das meiste schiefgeht. Wie die Teilnehmer an einer Lotterie lassen wir es dennoch darauf ankommen und halten an der Illusion fest, daßFortuna uns begünstigt. Schon wenn wir ein Freilos ziehen, sind wir froh. Statt eine Niete in der Hand zu haben, glauben wir, wir hätten eine neue Chance gewonnen.«

42 »Wer von Halbbildung spricht, macht sich einer grenzenlosen Schmeichelei schuldig«, sagte Z. »Selbst ein Viertel wäre, auch bei einem Universalgelehrten, weit übertrieben. Denn die Formel x/2x nimmt sehr schnell einen infinitesimalen Wert an, der gegen null geht. Das kommt unseren tatsächlichen Kenntnissen näher.«

43 Z. fragte sich, ob Montaigne recht hatte, als er schrieb, man müsse die Politik »den Robusteren und weniger Zögerlichen überlassen, die bereitwillig Ehre und Gewissen dafür hergeben«.

44 Manche unter uns hatten den Eindruck, daß Z. allzu empfindlich war. »Wenn irgendein Amt mich dazu zwingt«, schimpfte er, »eine Müllsammlung von Belegen aufzuhäufen und vorzulegen, ergreift mich einphysischer Ekel. Bei weitem lieber griffe ich in einen Spucknapf oder in eine Kloschüssel. An den Steuerbehörden beklage ich nicht so sehr die unersättliche Gier, mit der sie mich
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