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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen
Autoren: Marc Ritter
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Baggers, der sich links vom Spazierweg in den Hang kämpfte.
    Da fiel Hartinger ein, dass ungefähr an der Stelle, wo der Bagger mit seiner Schaufel wütend in den Boden fuhr, das Südportal des Kramertunnels geplant war. Offenbar sollte er Zeuge der ersten Grabungen dieses epochalen Bauwerks werden.
    Er näherte sich, und als er bis auf zwanzig Meter an den Bagger herangekommen war, erkannte er den Fahrer. Konzentriert saß sein alter Schulfreund Thomas Suldinger an den Schalthebeln. In der Volksschule hatten sie beide einmal ein paar Wochen zusammengesessen und dabei eine unglaubliche Gaudi gehabt, bis sie von der Lehrerin getrennt worden waren. Hartinger war nach der Vierten aufs Gymnasium gegangen, Suldinger aber stammte aus den Sozialbauten in der Auenstraße, wo die Eltern etwas anderes zu tun hatten, als studierte Gscheiderl aus ihren Kindern zu machen. Er hatte den Hauptschulabschluss gemacht und war zum Bau gegangen. Und er hatte offenbar einen festen Job, während Hartinger Foto für Foto dem Tagblatt verkaufen musste, zwanzig Euro das Stück.
    Hartinger winkte mit beiden Armen, um sich bemerkbar zu machen. Nichts. Er ging weiter auf das Monstrum zu, bis er beinahe von der mal nach rechts, mal nach links schwenkenden Schaufel getroffen wurde. Endlich sah ihn der hoch konzentrierte Baggerfahrer. Er schaute grantig und öffnete das Seitenfenster, um den Menschen, der ihn bei der Arbeit störte, lautstark zu verscheuchen.
    »Kreizkruzifix, Depp, schaugst, dass d’ weiterkommst!« Der Bass des Schimpfenden übertönte den Baggermotor.
    Hartinger nahm seine bademützenähnliche Jogginghaube und die verspiegelte Laufbrille ab, und Suldinger kniff die Augen zusammen.
    »Jessas, der Hartinger Gonzo, ich glaub, ich spinn«, plärrte er im gleichen Ton, aber mit aufgehellten Zügen weiter und warf die Tür des Baggers auf. Er hievte sich aus dem Schalensitz und kraxelte die drei Trittstufen hinunter, um seinem alten Spezl entgegenzugehen. Der Mann hatte die Statur eines Bären und überragte sogar die Einsneunzig von Hartinger um einige Zentimeter.
    »Servus, Tomboy!« Hartinger grinste übers ganze Gesicht.
    »Servus, Gonzo. Mei, wie lang ist des her? Fünfundzwanzig Jahr? Dreißig? Wart, lass mich dich genau anschauen – müssen fünfzig sein.«
    »Depp, du bist auch nicht jünger worn«, retournierte Hartinger. »Und ein anständiges Brauereigeschwür hast dir da angesoffen!«
    »Schau dich amal an!« Suldinger tätschelte Hartingers Wampe. »Hamma auch ein paar Knödel zu viel verdrückt. Drum rennst ja da rum und störst rechtschaffene Bürger bei der Arbeit. Habts ihr Zeitungsleut jetzt gar nichts mehr zu tun, dass du am helllichten Tag da im Gymnastikanzügerl umanandahupfst?«
    »Recherche nennt man das bei uns. Investigative, verstehst?« Hartinger machte eine bedeutungsvolle Miene.
    »Versteh. Ja, du hast ihn gefunden, den einzigen Werdenfelser, der nicht durch Grundstücksspekulationen reich geworden ist in den letzten dreißig Jahren, sondern im Schweiße seines Angesichts buckelt, um seine Schrazen zu ernähren. Bringst mich jetzt groß raus?«
    »Mal schaun. Im Ernst, was baggerst da?«, wollte Hartinger wissen.
    Suldinger saß immer noch der Schalk im Nacken. Mit staatstragender Miene berichtete er: »Probebohrung vorbereiten. Enorm wichtige Baggerarbeiten, die ich heute machen darf. Morgen kommen ein paar Spezialisten aus München und Berlin und was weiß ich und bohren sich da in den Boden. Hier soll bald der Tunnel rauskommen, und jetzt haben sie die Genehmigung für die Voruntersuchungen bekommen. Nach dreißig oder vierzig Jahren Hin und Her. Auf einmal pressiert’s. ›Baggern, Suldinger, baggern!‹, hat mein Chef angeschafft. Der ganze Humus da muss weg bis morgen früh.« Suldinger steckte mit einer halbkreisförmigen Armbewegung ein Areal von der Größe eines halben Fußballfelds ab. »Ich frag mich bloß, wo die mit der Raupe bleiben, weil ich mach nur die Bohrlöcher frei. Mit dem Bagger kannst ja keinen Humus abschieben.«
    »Eh klar.« Hartinger tat, als hätte er Ahnung von Baumaschinen und deren Einsatzgebieten. Sein Interesse für Suldingers Löcher war geweckt. Reporternase, neugierige, sagte er im Stillen zu sich selbst. Und zu Suldinger: »Wo genau sind jetzt deine Löcher?«
    »Ja, da hinten halt, direkt am Fuß vom alten Steinbruch. Siehst ja, wo meine Kettenspuren hingehen.«
    Hartinger ließ seinen alten Freund neben seinem Arbeitsgerät stehen und näherte sich den
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