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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen
Autoren: Marc Ritter
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bis Freitagmittag Entwarnung geben können, lassen wir’s bei Mittwoch. – Ja, versprochen. – Auf Wiederhören, Herr Meier.«
    Dr. Christoph Kleinschmied war heilfroh, den lästigen Anrufer endlich losgeworden zu sein. Von allen nach Aufmerksamkeit geifernden Provinzbürgermeistern war dieser Meier der Schlimmste. Kleinschmied verstand ja, dass er den Ministerpräsidenten unbedingt bei der Eröffnung der Tunnelbaustelle dabeihaben wollte. Ach was, es war ja gerade mal die Voruntersuchung. Aber es war vollkommen in Ordnung, wenn er schon das als Anlass nahm, in seinem Hoheitsgebiet sich selbst, die Partei und den Ministerpräsidenten ins rechte Licht zu rücken. Die Macht der Partei bröckelte an so vielen Enden, da war eine stabile Mehrheit im Fremdenverkehrsort Nummer eins durchaus etwas wert. Nur, unter den gegebenen Umständen war ein Besuch des Ministerpräsidenten ausgeschlossen. Und es war fraglich, ob es später noch zu diesem Fototermin kommen würde. Wenn die Olympiabewerbung im Sommer platzte, würden auch nicht die Milliarden für den Ausbau der Verkehrswege nach Garmisch-Partenkirchen fließen. Das war vollkommen klar. Und dann würde es ganz gut sein, wenn es keine Fotos und TV-Bilder davon gab, wie der Chef sich für einen Tunnel einsetzte, der nie gebaut werden würde.
    Eigentlich hätte etwas Besseres als dieser Knochenfund gar nicht passieren können.
    Der persönliche Referent rieb sich die Hände. Dann warf er einen dankbaren Blick in Richtung Herrgottswinkel und lächelte. Nun musste er auch nicht mehr die Rede schreiben, deren Vorlage beim Chef schon seit zwei Tagen überfällig war.
    Karl-Heinz Hartinger saß an dem kleinen Katzentisch, den sie ihm in der Redaktion des Garmisch-Partenkirchner Tagblatts eingerichtet hatten. Er konnte darauf gerade einmal seine Kameratasche und eine Tasse Kaffee abstellen. Der picklige Praktikant hatte doppelt so viel Platz. Den brauchte er auch, denn er stopfte sich im Fünfminutentakt Snickers in den Hals.
    Hartinger war stets darauf bedacht, dass sich seine Anwesenheit in den engen Redaktionsräumen so kurz wie möglich gestaltete. Terminzettel von der Pinnwand nehmen, mit den Redakteuren noch einmal kurz die einzelnen Einsätze besprechen, Post durchgehen – das meiste waren Werbebriefe für Social-Media- und Interview-Seminare – und dann raus in das wahre Leben der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen. Dort durfte er dann Schecküberreichungen, Waschstraßeneröffnungen, Verkehrsunfälle und immer wieder die zahlreichen öffentlichen Auftritte des Ersten Bürgermeisters Hans Wilhelm Meier dokumentieren.
    Auf zwanzig Euro pro Foto hatten sie ihn mittlerweile gedrückt. Vor einem Jahr waren es noch fünfunddreißig gewesen. Die Finanzkrise hatte die schlummernde Medienkrise wieder geweckt, und der Verlag musste sparen. Fünfunddreißig Euro gab es nur noch für Fotos, die es über die Garmisch-Partenkirchen-Ausgabe hinaus in den Bayernteil des Blatts schafften. Das war vielleicht zwei-, dreimal im Monat der Fall, wenn im Olympiaort unter der Zugspitze Dinge von überregionaler Bedeutung geschahen.
    Daher hatte sich Hartinger in den letzten Monaten auch wieder stärker aufs Texten verlegt. Schließlich hatte er zwanzig Jahre als Polizeireporter in München gearbeitet und war eigentlich gar kein Fotograf. Er suchte sich die Geschichten aus, die Spaß machten, die menschelten. Mit aktueller Berichterstattung wollte er als Schreiber gar nichts zu tun haben. Da reichten ihm die Fotojobs vollauf aus.
    Er porträtierte lieber Menschen aus Garmisch-Partenkirchen, die Besonderes taten und leisteten. Den Mann, der die Burgruine Werdenfels mit privatem Einsatz erhielt, die Frau, die sich immer noch als Bodybuilderin – eine der Letzen ihrer Art – den Busen flach und die Oberschenkel rund trainierte. Diese Geschichten brachten dann meist achtzig Euro, denn sie waren mit zwei Fotos versehen, und für den Text hatte er vierzig Euro Pauschale ausgehandelt. Natürlich musste er für diese achtzig Euro jemanden stundenlang interviewen und fotografieren und anschließend einen Artikel verfassen. Ein Stundenlohn von fünfzehn Euro war der Schnitt.
    Eine Alternative hatte Hartinger derzeit nicht, aber er plante, seine Leute-Geschichten aus Garmisch-Partenkirchen irgendwann als E-Book herauszugeben. Damit konnte er vielleicht ein paar Kröten nachträglich einnehmen.
    Auch an diesem Tag standen die üblichen Aufträge auf den Terminzetteln unter seinem Namen an der
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