Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck
Autoren: Philip Tamm
Vom Netzwerk:
Dann aber wurde sie am Abend vor der Abfahrt plötzlich krank, und die Buchung ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Sie rief spontan bei mir an und fragte mich, ob ich nicht einfach an ihrer Stelle fahren wolle.
    »Du meinst, ich soll mit Suse in ein Hotel fahren, am Strand spazieren gehen und zum Dinner Austern schlürfen, obwohl ich die gar nicht mag?«, fragte ich ungläubig zurück.
    »Klar. Und dazu gibt es Champagner. Ist alles im Gewinn inbegriffen.«
    »Ich trinke aber lieber Bier.«
    »Ich weiß, aber es würde dir guttun, wenn du einfach mal drauf verzichtest. Und Spazierengehen am Strand wäre auch nicht schlecht. Glaub mir. Nach so einem Wochenende fühlst du dich wie neugeboren.«

    »Und was ist mit Suse? Was sagt die dazu?«
    »Für sie wäre es in Ordnung. Wieso auch nicht? Ihr versteht euch doch gut.«
    »Aber ich müsste mit ihr in einem Zimmer übernachten.«
    Bettina lachte, als hätte ich etwas Superalbernes gesagt. »Wo ist das Problem? Oder glaubst du, dass Suse dir an die Wäsche geht? Da mach dir mal keine Sorgen. Ich weiß zufällig, dass du überhaupt nicht ihr Typ bist. Und solltest du derjenige sein, der auf dumme Gedanken kommt, wird sie dir schon gehörig auf die Finger klopfen.«
    Ich war wohl doch ihr Typ, was sie schon in der ersten Nacht deutlich machte. Sie rollte auf meine Seite des Bettes und sagte: »Betrachte das einfach nicht als Sex, sondern als eine Art Sport.«
    Da lag sie auch schon mehr oder weniger auf mir drauf, und ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment eine ganz neue Einstellung zum Thema Sport gewonnen habe.
    Leider dauerte es nur drei Tage, bis Betty von der ganzen Sache erfuhr (weil Suse nichts Besseres zu tun hatte, als es ihr brühwarm zu erzählen). Jedenfalls ist es wohl besser, wenn ich sie nicht anrufe.
     
    16:56 Uhr: Will gerade weitere Kandidatinnen checken, als mein Handy klingelt. Ich sehe die Nummer meiner Schwester im Display. Ich gehe dran und das Erste, was ich zu hören bekomme, ist: »Wo verdammt nochmal steckst du?«
    »Wo schon? Zu Hause.«
    »Ich weiß, du hast zurzeit andere Sorgen, Stefan. Akzeptiert. Aber wir würden uns dennoch freuen, wenn du kommst. Immerhin hast du zugesagt.«

    In diesem Augenblick fällt es mir wieder ein. Meine Eltern! Wir sind - oder besser gesagt, ich bin - heute Nachmittag bei ihnen zum Grillen eingeladen!
    Ausgerechnet heute!
     
    17:35 Uhr: Ich erwarte eine Katastrophe und nach fünf Minuten weiß ich, dass ich nicht enttäuscht werde. Das grillende Inferno.
    Es geht damit los, dass mein Vater mich an der Tür abpasst, mich komisch ansieht und sagt: »Deine Mutter ist nicht begeistert. Du weißt, wie sehr sie Katja gemocht hat.«
    »Komisch, Pap, ich bin vor Freude ganz aus dem Häuschen.«
    Er rollt mit den Augen, womit er mir wohl zu verstehen geben möchte, dass er auf meiner Seite steht. Als mein Blick auf den Esstisch fällt, sehe ich ein zusätzliches Gedeck neben meinem Platz. »Es ist für Katja«, erklärt meine Mutter mit tränenfeuchten Augen. »Ich möchte, dass wir diesen Platz für sie freihalten. Es fällt mir dann leichter, über ihren Verlust hinwegzukommen.«
    »Verdammt, Mama«, sage ich. »Katja ist nicht tot. Sie hat mir den Laufpass gegeben und hockt jetzt irgendwo, wo es ihr vermutlich besser geht als mir.«
    »Rede nicht so abfällig über sie! Und jetzt möchte ich nichts mehr davon hören.«
    »Danke für den Trost. Ich kann ihn gut gebrauchen«, sage ich grummelnd und bediene mich erst einmal an der Bar meiner Eltern. Ich mixe mir einen Cognac-Campari-Whiskey, der wie Lauge schmeckt, aber zusammengezählt, und wenn ich richtig rechne, an die hundert Prozent Alkohol hat.
Ich wollte heute zwar eigentlich nichts trinken, aber jetzt brauche ich doch eine kleine Stärkung, um die Sache hier mit der nötigen Lockerheit anzugehen.
    Mein kleiner Bruder Georg, der sich schon immer wie mein großer Bruder benommen hat, kommt zu mir und sagt: »Lass deine schlechte Laune nicht an uns aus. Wir können schließlich nichts dafür.«
    »Ich auch nicht. Das ist doch das Gemeine.«
    »Hey, du musst selber wissen, was du mit deinem Leben anstellst. Du kennst meine Meinung.«
    »Ja, klar. Ein Mann ohne Familie kann nicht glücklich werden «, gebe ich das wieder, was er mir seit Jahren predigt und werfe vieldeutig einen Blick zu meiner Schwägerin, die wie ein überfahrener Igel auf einer Gartenliege liegt und sich hoch konzentriert einen Pickel am Oberschenkel ausdrückt.
    Weiter hinten im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher