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Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.

Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.

Titel: Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.
Autoren: Otfried Preußler
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das Jägerlied: »Auf, auf zum fröhlichen Jagen!«
    Der Herr Klingsor spielte vergnügt auf der Geige und alle Kinder sangen dazu von Herzen mit. Alle waren stolz und zufrieden, weil der Herr Lehrer Klingsor gerade ihr Lieblingslied angestimmt hatte. Und dem blassen Mariechen Kleinwächter -

    dem Mariechen ist es vor Rührung wieder einmal ganz warm um die Augen geworden: Ihr werdet euch sicherlich denken können, warum.
    Ja, der Herr Klingsor.
    Zufällig kam gerade in diesen Minuten der Herr Oberlehrer König draußen auf dem Gang vorbei, gefolgt vom Herrn Schuldiener Büttner. Verwundert horchte der Herr Oberlehrer auf und blieb vor der Tür zu Herrn Klingsors Klassenzimmer stehen.
    Dass die Kinder das Kaiserlied konnten, verstand sich damals in einer dritten Klasse von selbst. Aber dass sie es vierstimmig sangen, vierstimmig ...
    »Hören Sie sich das an!«, flüsterte der Herr Oberlehrer König dem Herrn Schuldiener Büttner zu. »Das könnte auch der Reichenberger Lehrerinnen- und Lehrergesangsverein an Kaisers Geburtstag nicht schöner singen!«
    »Bestimmt nicht, Herr Oberlehrer«, sagte der Herr Schuldiener Büttner. »Bestimmt nicht.«
    Und trotzdem! Er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Reichenberger Lehrerinnen- und Lehrergesangsverein an Kaisers Geburtstag ausgerechnet das Lied singen würde, das der Herr Lehrer Klingsor mit seiner Klasse gerade sang. Es war nämlich, wie der Herr Schuldiener Büttner schmunzelnd feststellte, eins von den lustigen Kirchweihliedern, die sie als Kinder immer besonders gerne gesungen hatten - und das ging so:
    »Wenn Kirmst wird sein, wenn Kirmst wird sein, Da schlachtet der Vater ein' Bock. Da tanzt der Vater mit der Mutter, Da wackelt der Mutter der Rock, juchhe! Da tanzt der Vater mit der Mutter, Da wackelt der Mutter der Rock.«

Aber die armen Buchstaben ...
    Damals gab es noch keine Schreibmaschinen wie heute. Es gab auch keine Füllfederhalter, keine Kugelschreiber und keine Filzstifte. Entweder schrieb man mit einem Bleistift oder man schrieb mit der Schreibfeder, die in einem schlanken hölzernen Federhalter steckte.
    Für die Schreibfedern brauchte man Tinte. Deshalb stand damals auf jedem Schreibtisch ein Tintenglas. Damit man jederzeit Tinte hatte, in die man die Feder eintauchen konnte. Denn ohne Tinte hätte man ja nicht schreiben können.
    Selbstverständlich schrieben auch die Schulkinder in Herrn Klingsors Klasse mit Feder und Tinte. Für je zwei von ihnen gab es ein Tintenglas. Die Tintengläser waren in die Schulbänke eingelassen. An jedem Montagmorgen wurden sie vom Herrn
    Schuldiener Büttner aus einer großen Tintenflasche mit Tinte aufgefüllt.
    Es muss aber leider gesagt werden, dass die Schulkinder vom Herrn Lehrer Klingsor ganz und gar nicht besonders schön und besonders sorgfältig schrieben. Und dies, obgleich sie ja schon in die dritte Klasse gingen!
    Immer wieder musste sich der Herr Klingsor über die schlampigen Schriften der Kinder ärgern. Und als alles gute Zureden nichts helfen wollte, sagte er eines Vormittags in der Schönschreibstunde: »Dass euch die armen Buchstaben nicht Leid tun, die ihr da in die Hefte schmiert! Das sind überhaupt keine richtigen Buchstaben, das sind j a die reinsten Vogelscheuchen! Wie grässlich, wenn ihr so aussehen würdet, wie ihr schreibt!«
    Die Kinder verstanden Herrn Klingsor nicht, sie fanden das lustig. Da schnippte Herr Klingsor zwei Mal mit den Fingern und murmelte einen seiner Zaubersprüche.
    Und was meint ihr? Im nächsten Augenblick sahen die Kinder der dritten Klasse genauso schlampig und hässlich aus wie die Buchstaben in ihren Heften - kurzum wie leibhaftige Vogelscheuchen!
    Die Hilde Bienert stand plötzlich in einem alten

    Rock da, der fast nur noch aus Rissen und Löchern bestand. Er hing vorne ganz tief herunter und hinten war er so kurz, dass es einfach zum Lachen war.
    Auf dem Kopf von Wagners Peter saß ein verbeulter Filzhut, der war ihm bis über beide Ohren heruntergerutscht. Unter der Krempe schaute kaum noch die Nasenspitze vom Peter hervor.
    Die Jacke von Bergmanns Eva sah aus wie ein alter Kartoffelsack, der so groß war, dass gut und gern noch zwei weitere Kinder hineingepasst hätten.
    Der Willi Appelt hatte einen richtigen dicken Strohkopf bekommen, der oben zu einem struppigen Schopf zusammengebunden war.
    Knoblochs Paulchen steckte in einem alten Nachthemd mit ausgefranstem Kragen; außerdem hatte es bloß einen einzigen Ärmel, und zwar den
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