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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman
Autoren: Michel Bergmann
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freizügige Kindheit und Jugendzeit verbracht. Unser Verhältnis war, trotz aller typischen Konflikte, wirklich brüderlich. Und nach der langen Trennung haben wir uns schließlich als alte Männer wiedergefunden und uns entschlossen, gemeinsam zu leben. Das ist nicht leicht, wie sich jeder denken kann, denn man entwickelt im Laufe des Lebens Gewohnheiten, die anderen auf die Nerven fallen. Das war bei uns nicht anders, aber wir haben sie benannt. Wir haben dem anderen gesagt, was uns nicht passt. Es hat zwar nichts geändert, aber man wusste Bescheid.
    Die Trauergäste lachten, während Moritz weitersprach:
    Als mein Bruder Anfang des Jahres zu mir nach Frankfurt kam, war es so, Sie müssen mir das glauben, als sei keine Zeit vergangen. Wir waren wieder die beiden Jungs aus der Bockenheimer Landstraße und trotz aller Querelen habe ich die Zeit mit Alfred genossen. Er war ein humorvoller und kluger Mann, der einen klaren Blick für Menschen hatte. Das ist ihm sicher in seinem Beruf als Schauspieler zugutegekommen. Wenn wir ihn heute zu Grabe tragen, dann möchte ich gern, dass Sie ihn in Erinnerung behalten als einen besonderen Mann, der auf sympathische Weise stets in einer Ecke seiner Seele ein liebenswertes Kind geblieben ist, und genau das ist es, was mir nun, auch in mir selbst, verlorengegangen ist.
     
    In den nächsten sieben Tagen hielt Moritz strikt die religiöse Trauerzeremonie ein, indem er tagsüber in Strümpfen auf einer Matratze saß, die im Salon auf dem Boden lag. Die Spiegel hatte er verhüllt und er rasierte sich nicht. Zweimal am Tag sagte er das Kaddischgebet und stets brannte ein Licht. Obwohl keine zehn erwachsenen Männer anwesend waren, das minjan, wie es üblicherweise bei Juden der Fall sein muss, wenn man gemeinsam betete. In der Trauerwoche erschienen zu Moritz’ Freude doch einige Besucher und kondolierten. Neben Norma und Halina, die angenehm zurückhaltend waren, erschienen ein paar von Alfreds alten Freunden aus Kindertagen. Aus Zürich kam Juliette für einen Tag und Milly unterbrach ihre Reise von Washington nach Moskau und machte in Frankfurt Station. Trotz der Trauer wurde auch gelacht, besonders wenn man die Jugendzeit Revue passieren ließ. Irgendwann erschien ein junger Regisseur namens Ulf, der in einer Zeitung einen Nachruf gelesen hatte, und brachte die DVD mit Alfreds letztem Film vorbei. Dass Freddy Clay so plötzlich gestorben war, tat dem jungen Mann »ein Stück weit weh«, wie er sich sperrig ausdrückte. Moritz versprach dem Filmemacher, sich das Werk bei nächster Gelegenheit anzusehen.
    Zamira betreute die Gäste mit Kuchen und Kaffee und am letzten Abend spielte sie gemeinsam mit Moritz das Adagio in g-Moll von Albinoni, das ursprünglich für Cello und Orgel geschrieben war.
    Wie kitschig, hätte Alfred gesagt, aber sich doch gefreut.
    Moritz weinte fast jede Nacht und machte sich weiterhin bitterste Vorwürfe, was er aber Zamira gegenüber verbarg, denn das hatte sie ihm verboten. Er hatte sich Alfreds Laptop in sein Arbeitszimmer genommen und mit Zamiras Hilfe fand er auch rasch das Passwort: Lupa! Er arbeitete sich durch die Adressen und informierte einige von Alfreds Bekannten über seinen Tod.
    Er konnte seine Neugier nicht zügeln und las die ersten Seiten von Alfreds Memoiren. Bereits eine Passage aus dem Vorwort beeindruckte ihn:
    Ich bin und bleibe ein Jude. Ich habe eine Judennase. Ich spreche mit jüdischem Tonfall, den ich geschickt unterdrücke. Mir fehlt es an Kultur, aber ich verdecke das durch zu viel Kultur. Ich bin rückwärtsgewandt, aber mache auf modern und progressiv. Ich bin gläubig, tarne mich aber als Atheist. Ich bin Kapitalist, aber mache auf Sozialist. Ich entspreche dem Bild, das die Welt von Juden hat.
    Er telefonierte mit Harold, den er weiterhin Howard nannte, und bot ihm an, sich auszusuchen, was er an Andenken von seinem Vater haben wollte. Aber der Engländer hatte nicht die Absicht, noch einmal nach Frankfurt zu kommen, und interessierte sich nur für das Geld. So überwies ihm Moritz ohne jede Diskussion Alfreds Ersparnisse von 126 411 ,– Euro und überschrieb ihm ein kaum erwähnenswertes Aktiendepot bei der Banco di Roma. Alfreds Zimmer beließ er weitgehend unangetastet und Zamira putzte es regelmäßig und hielt es wie gehabt sauber und ordentlich.
    Es hatte etwas gedauert, bis Moritz dazu bereit war, sich Alfreds letzten Film anzuschauen. Gemeinsam mit Zamira saß er im Salon und als der Film begann und Freddy Clay
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