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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman
Autoren: Michel Bergmann
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    Langsam fuhr Zamira mit dem Mercedes die verschneiten Straßen des Westends ab, die Wischer auf volle Kraft, die Nase an der Windschutzscheibe, die Scheinwerfer aufgeblendet. In jeder Kurve geriet der schwere Wagen aus der Spur, die Hinterreifen drehten immer wieder durch.
    Herr Klee, sagte sie laut zu sich, wo sind Sie?
    Kettenhofweg, Savignystraße, Westendstraße. An der Beethovenstraße hatte sie kurz gehalten und einen einsamen Radfahrer gefragt, ob der nicht einen älteren Herrn gesehen habe, der durch die Straßen irrte. Der Mann konnte nicht weiterhelfen. Zamira überquerte die Bockenheimer Landstraße, und als sie langsam am Nebeneingang des Palmengartens vorbeifuhr, gab sie plötzlich Gas.
    Sie erreichte den dunklen Park, lief zur Wiese, sah ihn dort im Stuhl sitzen. Wie eine Skulptur. Er war völlig eingeschneit. Sein Kinn war auf die Brust gesunken.
    Herr Klee, rief sie und schüttelte ihn, sodass der Schnee von seinen Haaren fiel, sind Sie verrückt?
    Sie wollte ihm auf die Beine helfen, aber er fiel in den Schnee. Wieder und immer wieder versuchte sie, ihn hochzuziehen. Schließlich schaffte sie es, er wankte, war wie betrunken, legte seinen Arm um ihre Schulter.
    Wieso machen Sie den Quatsch? Das ist Wahnsinn!
    Alfred blieb stumm, stapfte mechanisch und ohne jede Reaktion neben ihr her.
     
    Alfred lag warm eingepackt, gut versorgt mit Tee und Aspirin in seinem Bett. Moritz hatte sich große Sorgen gemacht und Zamira gebeten, Doktor Perlmann zu rufen, aber Alfred hatte protestiert, er wolle keinen Arzt sehen.
    Als Zamira das Zimmer verlassen hatte, zog sich Moritz einen Stuhl an Alfreds Bett und setzte sich. Vorsichtig berührte er die Hand seines Bruders, die immer noch kalt war. Er nahm sie in seine Hände.
    Freddy, es tut mir so leid, ich wollte das nicht, es hat sich so hochgeschaukelt, aber du sollst wissen, dass ich dich liebe, du bist doch mein kleiner Bruder.
    Alfred hatte die Augen geschlossen und schwieg.
    Ich weiß, es ist unverzeihlich, wie ich dich beleidigt habe. Verzeih mir, bitte. Lass uns weiter zusammenbleiben. Es ist schön mit dir. Ich schwör’s. Okay, ab und zu fetzen wir uns, das kommt vor, aber wir sind doch Brüder. Echte Brüder. Seit du hier bist, ist mein Leben viel reicher geworden. Ich freue mich jeden Morgen, dich zu sehen. Ich liebe deinen sarkastischen Humor, auch deinen Blick auf das Leben und auf die Welt.
    Alfred lag weiter reglos. Vorsichtig, als wäre er zerbrechlich, strich ihm Moritz übers Haar.
    Ich habe mich nicht gut benommen. Ich habe dich beleidigt, das tut mir so leid. Verzeihst du mir?
    Erwartungsvoll sah er seinen Bruder an.
    Ja, hörte er Alfred leise sagen, der kaum die Lippen bewegt hatte.
    Moritz legte seinen Kopf auf Alfreds Brust und sagte:
    Du hast recht. Ich bin ein Feigling und ein Opportunist!
    Ich verbiete dir, so von meinem Bruder zu sprechen, flüsterte Alfred.
    Moritz spürte Alfreds Hand auf seinem Haar. Er begann zu weinen. Nach ein paar Minuten setzte er sich wieder aufrecht hin, schnäuzte sich in sein weißes Taschentuch, wischte die Tränen ab.
    Ehrlich gesagt, ich war immer verdammt neidisch auf dich. Du warst groß, sportlich und extrovertiert. Du hattest immer Erfolg bei den Mädchen. Kaum waren wir im Schwimmbad, schon hattest du deine Groupies um dich geschart. In der Synagoge schauten die jungen Frauen nicht zur Thora, sie sahen dich an. Wie gern wäre ich in deiner Theatertruppe in der Gemeinde dabei gewesen, nicht wegen Sartre, sondern wegen der Mädchen. Wegen Milly oder Juliette. Und im zionistischen Jugendlager warst du auch der Crack. Meine einzige Waffe war mein Intellekt oder was ich dafür hielt oder was ich nach außen hin vorgab zu besitzen. Und bis heute ist es nicht anders. Du bist der Frauenschwarm, der Paradiesvogel.
    Er stand auf.
    Du hast recht. Ich habe mich unterdrücken lassen, aber ich habe mich auch selbst unterdrückt. Mein ganzes Leben habe ich meine wahren Bedürfnisse unterdrückt. Konventionen, Spielregeln und Etikette waren mir wichtiger als mein persönliches Wohlempfinden. Ich habe nie auf den Tisch gehauen! Klar, ich habe es genossen, verehrt, bewundert und gelobt zu werden. Aber das ist normal, geht doch jedem so. Geht dir auch so, oder? Du hättest gern den Oscar. Denn du findest, du hättest ihn verdient. Wir können gar nicht existieren, ohne das Bild, das wir uns von uns selbst machen. So objektiv ist niemand. Es wäre auch gefährlich. Stell dir vor, ein schmock würde sagen,
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