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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten
Autoren: Agatha Christie
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sehr sogar. Er war verzweifelt. Aber Vater hat Alfred immer um den Finger wickeln können, auch heute noch, glaube ich.»
    «Und du bist ihm davongelaufen.»
    «Jawohl. Ich fuhr nach London und stürzte mich ins Kunststudium. Vater hat mir zwar sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er mir für solche Kinkerlitzchen höchstens eine kleine Zuwendung zu seinen Lebzeiten geben werde, dass ich aber nach seinem Tod leer ausginge. Seit jener Auseinandersetzung sah ich ihn nie mehr. Trotzdem habe ich nie etwas bereut. Ich weiß zwar, dass ich nie ein großer Maler sein werde; aber wir sind doch hier glücklich, in unserem Haus, wo wir alles haben, was man zum Leben braucht. Und wenn ich sterben sollte, fällt dir meine Lebensversicherung zu.» Er schwieg eine Weile. Dann schlug er mit der Hand auf den Brief. «Und jetzt – das! Vater, der mich bittet, mit meiner Frau bei ihm Weihnachten zu feiern, damit wir alle wieder einmal beisammen seien, eine geeinte Familie. Was bezweckt er nur damit?»
    «Muss er denn etwas damit bezwecken?», fragte Hilda. «Kann es nicht nur heißen, dass dein Vater älter wird und langsam sentimentale Anwandlungen seiner Familie gegenüber verspürt? Das kommt manchmal vor, weißt du.»
    «Vielleicht», antwortete David zögernd. «Er ist alt und allein. Du möchtest, dass ich hingehe, nicht wahr, Hilda?»
    «Nun, ich fände es hart, einer solchen Bitte nicht zu entsprechen. Ich bin altmodisch und glaube an die Weihnachtsbotschaft von Frieden und Versöhnung auf Erden.»
    «Nach allem, was ich dir erzählt habe?»
    «Ich weiß, Lieber, ich weiß. Aber das liegt doch nun lange zurück. Es sollte jetzt vergeben und vergessen sein.»
    «Ich kann nicht vergessen.»
    «Weil du nicht vergessen willst, David. Habe ich nicht Recht?»
    Sein Mund verzog sich zu einer harten Linie.
    «So sind wir Lees. Wir erinnern uns jahrelang an etwas, grübeln darüber nach, halten das Gedächtnis frisch.»
    Nun schwang auch in Hildas Stimme leichte Ungeduld mit.
    «Und ist das eine so erhebende Eigenschaft, auf die man stolz sein kann? Ich finde nicht.»
    Er sah sie nachdenklich und verschlossen an. Dann sagte er lauernd: «Dann misst du also der Treue – der Treue gegenüber einem Andenken – keinen großen Wert bei?»
    «Ich glaube an die Gegenwart, nicht an die Vergangenheit. Wenn wir versuchen, die Vergangenheit lebendig zu erhalten, dann muss das mit Verzerrung enden, da wir sie in übertriebenen Umrissen, aus einer falschen Perspektive sehen.»
    «O nein! Ich erinnere mich an jedes Wort, an jedes Ereignis aus jenen Tagen, ganz klar und deutlich», stieß David erregt hervor.
    «Ja, aber das solltest du eben nicht, Lieber, weil es nicht natürlich ist. Du denkst mit der Urteilsfähigkeit eines Knaben statt mit der Reife eines Mannes daran zurück.»
    Hilda stockte. Sie fühlte, dass es unklug war, noch weiter zu reden, und doch ging es hier um Dinge, die sie schon so lange hatte aussprechen wollen.
    «Ich glaube», fuhr sie nach einer Weile fort, «dass du deinen Vater für einen Teufel hältst! Du verzerrst sein Bild zu einer Art Abbild alles Bösen. Wenn du ihn jetzt wiedersiehst, wirst du erkennen, dass er ganz einfach ein Mann ist – ein Mann vielleicht, mit dem seine Leidenschaften oft durchgingen, ein Mann, dessen Leben beileibe nicht makellos verlaufen ist, aber eben doch einfach ein Mann – nicht ein unmenschliches Ungeheuer.»
    «Das verstehst du eben nicht. Wie er meine Mutter behandelt hat.»
    «Es gibt eine Art von Unterwürfigkeit, von Schwäche, die die niedrigsten Instinkte in einem Mann wecken, wo Entschlossenheit und Mut einen ganz anderen Menschen aus ihm machen könnten.»
    «Willst du damit sagen, dass es Mutters Schuld war.»
    «Nein, natürlich nicht! Ich bin überzeugt, dass dein Vater sie sehr schlecht behandelt hat. Aber eine Ehe ist etwas sehr Seltsames, und ich bezweifle, dass ein Außenstehender, selbst ein Kind dieser Ehe, das Recht hat, über sie zu urteilen. Außerdem kann all dein Hass deiner armen Mutter nicht mehr helfen. Das alles ist vorüber. Geblieben ist nur ein alter Mann, der nicht mehr ganz gesund ist und der dich um deinen Besuch zu Weihnachten bittet.»
    «Und du willst, dass ich hingehe?»
    Hilda dachte sekundenlang erst nach; dann sagte sie entschlossen: «Ja. Ich möchte, dass du hingehst und diesem Gespenst ein für alle Mal den Garaus machst.»
     
    George Lee, Abgeordneter von Westeringham, war ein korpulenter Mann von einundvierzig Jahren. Seine hellblauen
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