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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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Blatt kündigt der
Society den absoluten Ausnahmezustand an. Dieser Leopold hat sich offenbar nicht
nur als Weltklasseregisseur, sondern auch als Partylöwe und Frauenheld einen ziemlichen
Namen gemacht. Wenn man Bild Glauben schenken darf (was ich mir noch mal ziemlich
genau überlegen muss!), dann ist seine permanente Untreue schuld am Zerbrechen der
Beziehung zu dem bildschönen brasilianischen Topmodel.
    Ich schnappe
mir von der Kleiderstange das hautenge knallrote Paillettenkleid, das ich für meine
aufgelöste Kundin genäht habe, und kehre zurück in die Werkstatt.
    »Sie sind
zu beneiden«, sage ich überdreht. »Dieser Wahnsinnsregisseur im Nachbarhaus!«
    Meine Kundin
reißt mir das Kleid aus der Hand. »Villa«, sagt sie. »Wir wohnen in einem Vil-len-vier-tel.«
Sie betont jede Silbe einzeln. Dann verzieht sie sich in die Kabine, um das Kleid
anzuprobieren.
    »Natürlich«,
antworte ich und seufze innerlich auf. Einbildung ist auch eine Bildung, wie mein
Vater immer sagt.
    Margret
kommt zurück in die Werkstatt. Sie hat ganz rote Augen und wischt sich mit einem
Taschentuch Lachtränchen weg. Jola zeigt auf die Kabine und legt den Finger an die
Lippen. Margret imitiert das Verhalten unserer Kundin, stolziert an ihren Platz
und lässt sich mit irrem Blick auf ihren Stuhl sinken – pantomimisch natürlich.
Jetzt muss ich mir schon wieder das Lachen verkneifen.
    Nun kann
ich Vicki noch besser verstehen. Wer bitte hat an einem scheußlich verregneten Montagmorgen
so viel Spaß bei der Arbeit wie wir?
    Als meine
Kundin aus der Umkleide kommt, pfeift Jola anerkennend durch die Zähne. Das knallrote
Kleid sitzt wie angegossen. Sie hat, das muss man ihr lassen, eine Wahnsinnsfigur.
95-55-90. Ich habe sie selbst ausgemessen. Ihre Haut ist straff, leicht gebräunt,
und ihre wohlgeformten Silikonbrüste sehen fantastisch aus (»Habe ich mir in Kalifornien
gekauft. Da sind die Schönheitschirurgen einfach die besten.«).
    Geld zu
haben, muss schön sein. Ich war bisher leider nicht im Golden State. Weder um das
Land anzuschauen noch um mir die Brüste machen zu lassen – wobei ich Letzteres nicht
wirklich nötig habe. Da sitzt alles, wo es hingehört, und auch die Größe ist ganz
ansprechend.
    »In diesem
Kleid werde ich ihn begrüßen, wenn er bei uns seinen Kennenlernbesuch macht«, haucht
meine Kundin und streicht sich mit den Händen aufreizend über die Hüften.
    Soweit ich
weiß, ist sie verheiratet. Sie selbst scheint es jedoch gerade vergessen zu haben.
Na ja, das soll nicht mein Problem sein. Ich sorge nur dafür, dass sie etwas Schönes
anzieht. Wer es ihr dann auszieht, ist mir eigentlich egal.
    In einem
Punkt hat sie definitiv recht. Der Regisseur sieht ziemlich cool aus – so eine lässige
Künstlertype mit einem amerikanischen Was-kostet-die-Welt-Lächeln auf den Lippen
und 32 Zähnen in jedem Kiefer.
    Die Höhe
des Trinkgeldes entspricht der euphorischen Stimmung der Dame, als sie zufrieden
aus dem Laden rauscht. Für die Party möchte sie ein schwarzes Kleid. In zwei Tagen
will sie wiederkommen und sich meine Entwürfe anschauen.
    Mit ihrer
Stimmung hat sie mich ein bisschen angesteckt.
    Angenommen,
der Typ macht wirklich eine Promi-Einzugsparty und lädt seine Nachbarin dazu ein,
dann hat wieder ein Kleid von mir seinen Auftritt. Schön wäre es! Es ist nun mal
mein größter Wunsch mit meiner Mode Erfolg zu haben.
    Also, auch
wenn Basti wirklich die ganze Woche keine Zeit hat. Ich werde mich nicht langweilen.
Das steht fest.
     
    *
     
    Stunden später steht überraschend
mein Schatz in der Werkstatt.
    »Ich denke,
du musst weg?«
    »Ich muss
erst in drei Stunden am Flughafen sein«, sagt er und küsst mich. »und wollte dich
kurz sehen, bevor ich losdüse.«
    Das finde
ich total süß von ihm. »Wo düst du denn hin?«
    »Hamburg.
Drei Tage.«
    Ich verzichte
auf die Frage, was er dort zu tun hat. Es wird wahrscheinlich irgendeine Tagung
oder Weiterbildung sein, die unter einem spannenden Motto wie ›Multimodale Differenzialtherapie
bei SBAS‹ oder dergleichen steht. Das muss ich wirklich nicht genauer wissen. Da
entziffere ich lieber Augustas Tagebuch. Ich vermute, dass sie keine HNO-Ärztin
war und ihre Geschichte mir deshalb mehr als ein Gähnen oder ein ratloses Schulterzucken
entlockt.
    Wir setzen
uns ins Schraders und trinken Kaffee.
    Als er weg
ist, packe ich meine Sachen und ›schwimme‹ zur U-Bahn. Es regnet noch immer und
meine armen Füße sind nach drei Schritten pitschnass und
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