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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Vertraulichkeit.
    Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,
die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.
    Sie war schon aufgelöst wie langes Haar
und hingegeben wie gefallner Regen
und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.
    Sie war schon Wurzel.
    Und als plötzlich jäh
der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf
die Worte sprach: Er hat sich umgewendet –,
begriff sie nichts und sagte leise: Wer?
    Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
    Werke I , 542-545
    Â 
    Â 
    â€¦ wenn doch die Leute ein wenig Lust zum Unbegrenzten hätten; wenn das Liebe heißen soll, dieses Bestehen auf einander, dieses nicht wieder Loslassen, nicht mal der Erscheinung, so bin ich lieb-los, vom Grunde meines Herzens: meine ganze Freude zu den Strömungen und Verwandlungen stürbe in mir ab, wenn ich denken, glauben, befürchten müßte, jemanden in diesem Sinne, d.h. so, wie ich ihn hier zu sehen und zu fassen meinte, wiederzusehen: da erst wäre mein ganzes Herz widerlegt, wo ich begriffe, daß mir dies, dieses Nachsitzen vor einem schlecht Gelernten, in irgend einem fatalen Jenseits vorbereitet sei. Und anderen, wie vielen und wie fühlenden Herzen, ists die Hoffnung und Stärke ihres Lebens!
    Wunderly I (2. 6. 1921), 474
    Die zweite Duineser Elegie
    Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir,
    ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele,
    wissend um euch. Wohin sind die Tage Tobiae,
    da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür,
    zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar;
    (Jüngling dem Jüngling, wie er neugierig hinaussah).
    Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen
    eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochaufschlagend erschlüg uns das eigene Herz. Wer seid ihr?
    Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung,
    Höhenzüge, morgenrötliche Grate
    aller Erschaffung, – Pollen der blühenden Gottheit,
    Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne,
    Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte
    stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln,
    Spiegel : die die entströmte eigene Schönheit
    wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.
    Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir
    atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut
    geben wir schwächern Geruch. Da sagt uns wohl einer:
    ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling
    füllt sich mit dir … Was hilfts, er kann uns nicht halten,
    wir schwinden in ihm und um ihn. Und jene, die schön sind,
    o wer hält sie zurück? Unaufhörlich steht Anschein
    auf in ihrem Gesicht und geht fort. Wie Tau von dem Frühgras
    hebt sich das Unsre von uns, wie die Hitze von einem
    heißen Gericht. O Lächeln, wohin? O Aufschaun:
    neue, warme, entgehende Welle des Herzens –;
    weh mir: wir sinds doch. Schmeckt denn der Weltraum,
    in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel
    wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes,
    oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig
    unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre
    Züge soviel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter
    schwangerer Frauen? Sie merken es nicht in dem Wirbel
    ihrer Rückkehr zu sich. (Wie sollten sie's merken.)
    Liebende könnten, verstünden sie's, in der Nachtluft
    wunderlich reden. Denn es scheint, daß uns alles
    verheimlicht. Siehe, die Bäume sind ; die Häuser,
    die wir bewohnen, bestehn noch. Wir nur
    ziehen allem vorbei wie ein luftiger Austausch.
    Und alles ist einig, uns zu verschweigen, halb als
    Schande vielleicht und halb als unsägliche Hoffnung.
    Liebende, euch, ihr in einander Genügten,
    frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?
    Seht, mir geschiehts, daß meine Hände einander
    inne werden oder daß mein gebrauchtes
    Gesicht in ihnen sich schont. Das giebt mir ein wenig
    Empfindung. Doch wer wagte darum schon zu sein ?
    Ihr aber, die ihr im Entzücken des anderen
    zunehmt, bis er euch
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