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Henker-Beichte

Henker-Beichte

Titel: Henker-Beichte
Autoren: Jason Dark
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verschaffen können. Was Cresson getan hatte, das kam den Taten im finsteren Mittelalter gleich. Er hatte wie eine Maschine gemordet. Der Abbé erfuhr von mehreren Hinrichtungen, die oft an einem Tag stattgefunden hatten, und nie war es dem Henker in den Sinn gekommen, sich auch nur im Ansatz zu weigern. Es war sein ›Job‹, und er war dafür bezahlt worden. So gut, daß er mit dem Geld bis an sein Lebensende existieren konnte. Der Tyrann hatte ihn als einen seiner Vertrauten angesehen und ihm ein Leben in Luxus finanziert.
    »Ich hatte in diesem Land alles. Geld, Frauen, meine Freiheit, ich war angesehen, man fürchtete sich vor mir. Man kannte mich. Wenn ich eine Bar betrat, spürte ich den Respekt, den man mir entgegenbrachte, aber es war kein normaler Respekt, wie ich jetzt weiß, es war die nackte Angst.« Er schüttelte den Kopf und erklärte stöhnend: »Ich lebte in meiner Welt und bekam nicht mit, daß diese ganz anders war als die normale. Ich… ich… kam damit nicht zurecht. Ich sah mich als King und habe mir viel herausgenommen. Ich habe alles bekommen, jede Frau, die ich wollte, und ich kann von Glück sagen, daß mich die Geißel der Menschheit dabei nicht erwischt hat.«
    »Aids?«
    »Ja. Es war damals noch nicht so stark verbreitet. Aber was soll es? Ich hätte es als Bestrafung angenommen.« Er ließ die Hände sinken, die er bisher gegen seinen Kopf gepreßt hatte, schüttelte den Kopf und griff nach einem Tuch, in das er hineinschneuzte. »Einen Schluck?«
    »Ja, Abbé, den kann ich jetzt brauchen.«
    Bloch füllte das Glas des Henkers. Der scharfe Schnaps war schnell in der Kehle des Mannes verschwunden. Er schüttelte sich kaum noch, räusperte sich nur und starrte an Bloch vorbei, zur anderen Seite des Arbeitszimmers hin, wo sich auch das Fenster befand.
    Die Welt dahinter war dabei, sich zu verändern. Die strahlende Märzsonne war verschwunden. Die Welt tauchte in ein graues Zwielicht, was auch mit den ersten Schatten der Dämmerung zusammenhing, die anfingen, die Welt zu umgarnen.
    »Es wird bald dunkel werden«, sagte der Henker, und seine Stimme hörte sich an, als spräche er mehr zu sich selbst.
    »Ich weiß.«
    »Die Nacht kommt, und ich erinnere mich an das Versprechen, das man mir gab.«
    »Sie sollten es nicht…«
    »Nein, Abbé, ich weiß selbst, wie ich darüber denken muß. Dieser Okuba ist der Sohn des mächtigen Medizinmannes, dessen Namen ich nicht mal weiß. Er ist mir tatsächlich entfallen, aber ich wußte von seinem Einfluß. Er war ein Gegenspieler des Tyrannen, er war ein Feind, er wollte ihn stürzen.«
    »Dann haben Sie ihn geköpft.«
    Cressons Blick bekam eine gewisse Leere. »Ja, das habe ich. Ich habe ihn geköpft.«
    »Und er hat Sie verflucht.«
    »Auf dem Richtklotz noch hat er mich verflucht. Er hat sogar auf eine Kapuze verzichtet. Er wollte mir in die Augen sehen, und er hat es auch getan. Schon damals wußte ich, daß ich seinen Bück nie würde vergessen können, und nun stemmt sich die Erinnerung wieder in mir hoch. Ich sage Ihnen, mon ami, daß ich seinen Blick nicht vergessen habe. Er kehrt zurück, grausamer als je zuvor, denn er war jahrelang verschwunden. Mit meinen Träumen aber ist er wieder da, und wenn ich mich jetzt daran erinnere, schimmerte in seinen dunklen Augen der Tod. Er war ein Meister gewesen, ein Magier und Zauberer, man hat ihn als einen Voodoo-König angesehen, und ich weiß jetzt, daß dies nicht übertrieben war. Er kannte die alten Riten, denn nicht grundlos – das habe ich später erfahren – kamen Menschen zu ihnen, die Kontakt mit den Verstorbenen aufnehmen wollten.«
    »Was passierte nach seinem Tod?« wollte der Abbé wissen.
    »Wenn Sie glauben, daß der Medizinmann in Vergessenheit geriet, so ist das ein Irrtum. Die Menschen vergaßen ihn nicht, sie verehrten ihn, er wurde zu einem Gott. Sie stilisierten ihn hoch, sie waren seine Gemeinde, und ich merkte, wie sich das Klima nach seinem Tod änderte. Es wurde kälter, denn auch die Macht des Präsidenten und Tyrannen schwand allmählich. Er bekam auch keine Unterstützung aus Frankreich mehr. Hier hatte man ihn ebenfalls fallengelassen.«
    »Was taten Sie?«
    »Ich hatte die Zeichen der Zeit erkannt und setzte mich vor Einbruch der großen Revolution ab.«
    »Vergaßen Sie?«
    »Ich versuchte es, aber ich schaffte es nicht, denn unterschwellig war die Furcht immer da. Ich konnte wirklich nicht vergessen. Die Erinnerungen wurden grausam für mich. Da mußte ich erleben,
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