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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel
Autoren: Petros Markaris
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hier kaufen konnten. Dann erklärte er mir, er werde seinem Rechtsanwalt die Scheidungsmodalitäten übertragen und auf See gehen, damit in seiner Abwesenheit die Angelegenheit in aller Ruhe über die Bühne gehen könnte. Ich stand knapp vor dem Nervenzusammenbruch. Vassos war mein ein und alles. Wir waren von Kindheit an zusammen. Eher hätte ich mich umgebracht, als in die Scheidung einzuwilligen. Eines Tages kam Janna zu mir und erzählte, daß sie schwanger war und eine Abtreibung vornehmen lassen wollte. Sie können sich nicht vorstellen, wie mir zumute war, als ich das hörte. Ich mußte mich scheiden lassen, weil wir keine Kinder bekommen konnten, und sie wird schwanger und rennt zum Engelmacher. Ich raufte mir die Haare, ich schlug auf sie ein wie eine Furie. Sie wartete, bis ich mich wieder beruhigt hatte, und dann meinte sie, ich sollte Vassos erzählen, daß ich ein Kind erwartete. Ich begriff nicht, worauf sie hinauswollte. Sie mußte es mir erst erklären. Vassos würde zum Zeitpunkt der Geburt nicht hier sein können. Sie würde das Kind auf die Welt bringen und es mir überlassen.«
    Sie lacht und weint gleichzeitig. »Es war kinderleicht«, sagt sie. »Sie wurde unter meinem Namen in die Gebärklinik eingeliefert. Und als die kleine Anna geboren wurde, habe ich sie als mein eigenes Kind angemeldet. Vassos war ganz aus dem Häuschen vor Glück. Er liebt seine Tochter abgöttisch. Er liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er kommt dieses Jahr genau zu Silvester zurück, damit wir zusammen Neujahr feiern können, und da sollten Sie mal sehen, was er ihr alles mitbringt.«
    »Wer weiß noch davon, daß Ihr Kind eigentlich Jannas Tochter ist?«
    »Niemand! Ihr Plan war so lückenlos, daß keiner irgend etwas mitbekam. Doch der Teufel schläft nicht, und das Unglück wollte es, daß uns dieser Kinderschänder gesehen hat!«
    »Wer ist denn der leibliche Vater?«
    »Keine Ahnung. Janna hat seinen Namen nie erwähnt.«
    Urplötzlich springt sie von ihrem Sitz auf. Sie setzt sich neben mich aufs Sofa, packt meine Hände und drückt sie. »Ich bitte Sie, sagen Sie niemandem etwas«, wimmert sie. »Anna und Vassos werden davon erfahren. Unser ganzes häusliches Glück steht auf dem Spiel, Sie können sich ausmalen, was uns erwartet. Sie stürzen eine ganze Familie ins Unglück.«
    Ich weiß nicht, wohin das alles noch führen wird, und ich fühle, wie sich mein Herz zusammenkrampft. »Hören Sie. Wenn das Kind mit dem Tod Ihrer Schwester nichts zu tun hat, gebe ich Ihnen mein Wort, daß keiner etwas erfahren wird. Wenn ein Zusammenhang besteht, dann verspreche ich Ihnen, daß ich meine Vorgehensweise zuerst mit Ihnen absprechen werde.«
    Was ist vorrangig? Einen Mörder zu finden oder eine Familie vor dem Desaster zu bewahren? Wohl beides, und hier liegt das Problem. Du bist ein Unglücksrabe, Charitos, sage ich zu mir selbst. Ständig sitzt du in der Tinte.
    »Sagen Sie mal, haben Sie irgendwelche Andenken an Ihre Schwester?«
    »Was verstehen Sie unter Andenken?«
    »Fotografien etwa … Briefe …«
    »Briefe habe ich keine. Nur ein paar Fotografien.«
    »Die würde ich gerne sehen.«
    Sie erhebt sich und geht aus dem Wohnzimmer. Bald darauf kehrt sie mit einem Stoß Fotografien zurück. Ich gehe sie eine nach der anderen durch, doch meine Suche ist ein Schlag ins Wasser. Überwiegend handelt es sich um Aufnahmen aus Jannas und Minas Kindertagen, andere zeigen Anna als Kleinkind, das von Janna im Arm gehalten wird. Einige stammen von der Reise, die sie zu dritt unternommen hatten. Und da ist noch ein Foto, auf dem Janna spricht, während sie Kopfhörer trägt. Vermutlich ist es während einer Radiosendung aufgenommen worden.
    »Waren das alle Aufnahmen?«
    »Ja. Es gibt nur noch eine, die sie Anna geschenkt hat und die sich in ihrem Zimmer befindet.«
    »Die würde ich gerne auch noch sehen.«
    Sie führt mich in Annas Zimmer. Es ist einfach und in fröhlichen Farben eingerichtet, mit geblümten Vorhängen, einem Schreibtisch, einem Bücherregal und einem Einzelbett mit Nachttischchen. Darauf steht, zum Bett gerichtet, die Fotografie in einem Holzrahmen.
    »Das ist sie«, sagt die Antonakaki. »Sie hat Anna gesagt, sie solle die Aufnahme immer in ihrer Nähe behalten, weil sie sie sehr liebhabe.«
    Ich trete näher und betrachte die Aufnahme. Sie zeigt eine ländliche Ausflugsszene junger Leute, auf einer Waldlichtung. Im Mittelpunkt der Fotografie erkenne ich Janna. Sie liegt auf dem Boden und hat den
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