Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52
Autoren: Selim Oezdogan
Vom Netzwerk:
aber sie weiß nicht, was sie tun soll. Hier, wo sie mit einem Pappkoffer hingekommen ist, weil es alles gibt, kann man viele Dinge nicht kaufen. Es gibt in ihrem Ort keinen einzigen Metzger, der Lammfleisch verkauft, geschweige denn Knoblauchwurst. Knoblauch gibt es ohnehin nur selten, und man hat das Gefühl, er wird nicht kilo-, sondern zehenweise verkauft. Frische Peperoni findet man kaum, und der Gemüsehändler hat tatsächlich Gewichte von 100 Gramm neben seiner Waage. Es gibt kein Paprikamark, jedoch Tomatenmark aus Tuben, in denen in der Türkei nur Rasiercreme oder Zahnpasta verkauft wird.
    |33| Mit dem Tomatenmark veralbern sie gerne die Neuankömmlinge, hat Fuat erzählt. Tomaten in Tuben, das glaubt doch keiner, in Tuben gibt es nur Dinge, die ins Badezimmer gehören, also drückt man einem Neuen so eine Tube in die Hand und sagt: Das können sie, die Deutschen, eine Rasiercreme herstellen, mit der du dich ordentlich rasieren kannst, glatt wie ein Babypopo wird dein Gesicht damit, du denkst, du wärst erst zwölf.
    – Und wenn ich das sage, als ehemaliger Friseur, dann hat das Gewicht, prahlt Fuat. Und die Ärmsten schmieren sich das Tomatenmark ins Gesicht, und die wirklichen Trottel merken es nicht mal und setzen tatsächlich die Klinge an. Es ist kaum fassbar. Und du stehst daneben und ermunterst sie: Nur zu, nur zu, wundere dich nicht über die Farbe, da ist gleich ein Blutstopper mit drin, deswegen sieht es so aus. Als würde das irgendeinen Sinn ergeben.
    Er lacht, als wüsste er seit seinen ersten Tagen auf der ganzen Welt Bescheid.
    Sie finden hier zwar nicht immer, was sie bereits kennen, aber manche sehen Früchte, deren Namen sie vorher nicht mal gehört haben. Einem Mann aus Kars, der nicht lesen und schreiben kann, gibt Fuat eine Banane.
    – Den Kern kann man nicht essen, warnt er ihn, der ist giftig.
    Und der Trottel hat auf der Schale rumgekaut und meinte: – So besonders schmeckt das aber nicht.
    Noch Jahre später wird darüber gelacht.
    – Ozan, der hatte ein Moped, bevor du kamst, weiß Fuat noch zu erzählen, aber damit hat er einen Unfall gebaut, wegen Auberginen.
    Es war Markttag, und er fährt mit seinem Moped und sieht auf einmal auf der anderen Straßenseite einen Stand, und er glaubt, er träumt. Da sind tatsächlich Auberginen, die ersten, die er in Deutschland sieht, groß und prall, von einem tief |34| dunklen, fast leuchtenden Lila. Ozan hat eine Vollbremsung hingelegt, wollte wenden und zehn Kilo von diesen Auberginen kaufen. Das Auto hinter ihm ist ihm dann reingefahren. Gott hat sein Leben geschützt, aber das Moped war dahin. Abends hat Nadiye dann Karnıyarık gemacht mit den Auberginen. Das teuerste Karnıyarık, das je jemand gegessen hat, ein ganzes Moped hat es gekostet.
    Wenn er solche Geschichten erzählt, kann Fuat lachen, aber wenn er beim Essen sitzt, zetert er. Kein vernünftiger Weißkäse, keine guten Oliven, keine Rosenmarmelade, nichts kannst du kaufen, und in der Kantine ist es am schlimmsten, die Deutschen scheinen nur zwei Gewürze zu kennen, Pfeffer und Salz, und nie gibt es Brot zum Essen. Und das Brot, das man kaufen kann, scheint zwar aus Teig gemacht, aber das ist die einzige Gemeinsamkeit mit dem Brot in der Türkei, die er entdecken kann.
    – Was machen die eigentlich da rein, dass dieses Brot nie schmeckt?, fragt er Gül, die mittlerweile in einer Bremer Brotfabrik arbeitet.
    Sie ist tatsächlich nicht noch einmal nähen gegangen. Einige Jahre später wird sie wieder an einer dieser Maschinen sitzen, zwei Wochen lang, wieder schwarz, weil sie woanders eine feste Stelle hat, aber dieses Mal wird sie gut bezahlt werden. So gut, dass es sich lohnt, sich zwei Wochen von seiner regulären Arbeit krankschreiben zu lassen. Sie wird den Produktionsengpass der Firma für sich nutzen können, und es wird sie mit Genugtuung erfüllen. Sonja wird Gül wiedererkennen und sich lachend und furzend auf den Unterleib klopfen, und Gül wird sagen: Ja, ich weiß, Luft muss raus.
    Doch zurzeit arbeitet sie in der Brotfabrik und kann Fuat nicht sagen, was sie dort ins Brot tun.
    – Ich bin fast jeden Tag woanders, sagt sie, mal hier, mal da, wo sie gerade jemanden brauchen. Es ist ja keine Bäckerei, es ist eine Fabrik. Ich verstehe überhaupt nicht, was da alles passiert, |35| woher soll ich wissen, wie die den Teig machen. Die sind es halt auch anders gewöhnt, sie haben ja viele Sorten, aber sie kennen nicht, was wir haben, sie kennen kein Fladenbrot, kein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher