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Heimkehr zu den Dakota

Heimkehr zu den Dakota

Titel: Heimkehr zu den Dakota
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Tatanka-yotanka kommt.«
    In die Krieger vom Bunde der Roten Hirsche schoß es wie ein elektrischer Strom, und sie stimmten im Chor in den Ruf ihres Anführers ein: »Tatanka-yotanka kommt! Der große Geheimnismarin der Dakota! Tatanka-yotanka kommt! Der große Geheimnismann der Dakota!« Der Kultplatz dröhnte von ihrem Ruf.
    Tschetansapa sang mit seiner kräftigen Stimme weiter: »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze! Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Der alte Geheimnismann wurde von dem Chorgesang erfaßt und getrieben, und die von ringsum an ihn heranbrandende Vorstellung der besessenen Menge überwältigte ihn, so daß er seinen Zauberstab wieder ergriff und mit diesem und seinem Opfermesser einen neuen, noch wilderen Tanz vollführte. Es waren nicht mehr normale Kräfte eines alten Mannes. Es war eine Wahnvorstellung, wie er sie sonst selbst erzeugte und wie sie jetzt ihr Spiel mit ihm trieb.
    »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Auch die älteren Krieger waren schon gepackt. Tschotanka hatte die Signaltrommel herbeigeholt und trommelte zu dem Gesang der Männer: »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!« Die Krieger und Burschen begannen im Rhythmus zu stampfen, wie sie es bei ihren tage- und nächtelangen Kulttänzen gelernt hatten und gewöhnt waren. »Tatanka-yotanka, Tatanka- yotanka, Tatanka-yotanka! Er reitet durch die Furt, tanze, Hawandschita, tanze!«
    Stein mit Hörnern lehnte an dem Kultpfahl in der Mitte des Platzes. Seine Brandwunden an Arm und Schultern spürte er kaum. Aber der Rauch, die Feuerhitze, der Chorgesang, die Trommelschläge, das Stampfen der Männer, der tanzende Zauberer wirkten auf seine Nerven und sein Gehirn. Er sah sich inmitten eines großen Totenfestes, als dessen Ende ihm noch immer das steinerne Messer erschien, das seine Brust aufschlitzte, damit der Zauberer das Herz herausreißen konnte. Er glaubte, daß er sterben müsse, aber er wußte, daß ihm keine Schande mehr drohte. Die Schande hatte nicht nur er selbst von sich abgewehrt. Die Söhne und Töchter der Großen Bärin hatte sie alle gemeinsam von ihm genommen. Schonka schürte das Feuer nochmals, obgleich es längst heller Tag war.
    »Tatanka-yotanka! Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Die Männer hatten sich zu Gruppen und Kreisen formiert, so wie sie es beim Kulttanz immer taten. Den Kreis unmittelbar um den Pfahl führte Tschetansapa an, und er sang wie ein Instrument, das nicht ermüdet: »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Die jungen Krieger zogen ihren Tanzkreis jetzt um Pfahl und Feuer. Schonka war es dadurch verwehrt, noch einmal an die Feuerstellen heranzukommen. Die Feuer brannten langsam nieder, und die Vollendung des Mordes war vereitelt.
    Den zweiten, weiter gezogenen Kreis der Krieger führte Tschotanka. Außerhalb der beiden Kreise hatten sich Burschen aufgestellt. Sie hoben alle die Messer in die Luft, so wie sie es beim Tanz der Bälle mit den Ballschlägern taten, und sangen dazu: »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Tschotanka trommelte.
    Hinter den Tanzkreisen und Tanzgruppen der Männer fanden sich die Frauen unter Führung Untschidas und die Mädchen hinter Uinonah als Vortänzerin zusammen. Auch die Frauen hatten ihre Kulttänze, von denen der wichtigste der Skalptanz zur Versöhnung der getöteten Feinde war. Sie schritten im Rhythmus und sangen: »Tatanka reitet durch die Furt! Tanze, Hawandschita, tanze!«
    Tschotanka trommelte immer leidenschaftlicher.
    Gegen Mittag brach der tanzende Hawandschita zusammen. Er fiel zu Boden und blieb mit Zauberstab und Messer wie leblos im Grase liegen. Niemand würde ihn angerührt haben, denn alle glaubten, da sei Zauber, und man müsse warten, bis die Geister den Geheimnismann wieder weckten. Die übrigen Tänzer begannen sich abzuwechseln. Auch das war Sitte und Gewohnheit.
    Nur Tschetansapa, Untschida und Uinonah ließen sich nicht ablösen. Wie von einem Traume befallen, sangen und tanzten sie unaufhörlich weiter: »Tatanka reitet durch die Furt …«
    Stein mit Hörnern lehnte an dem Pfahl. Seine Haltung war die eines Menschen, der in Stricken hängt. Seine Knie zitterten, seine Schultern hingen vornüber, sein Blick war glasig geworden, aber er stürzte nicht.
    Es wurde endlich wieder Abend.
    Auf der Prärie galoppierten drei Reiter heran, in gestrecktem Galopp. Sie
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