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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wenn Sie stürzen, bin ich der Verantwortliche. – Ich darf doch?«
    Und er lächelte sie wieder an.
    Hilde nickte nur und ließ ihm ihren Arm. Und während von der Halle das Scharren des weiterfahrenden Zuges herauf tönte, gingen zwei junge Menschen, die sich erst seit wenigen Minuten kannten, Arm in Arm hinaus in die verschneiten, kalten Straßen.

2
    In dem kleinen Café am Ende des Berliner Kurfürstendamms saßen an den dicht besetzten Tischen Studenten, Kontoristinnen, Fronturlauber und einige Pärchen. Die meisten tranken Ersatzkaffee, jenes Getränk aus Zichorie, das der Volksmund treffend ›Muckefuck‹ nannte.
    Heinz Wüllner, der einen Platz in einer Ecke nahe einer kleinen verkümmerten Palme entdeckt hatte, steuerte auf den Tisch zu und half Hilde Brandes aus ihrem Fohlenmantel. Er selbst beförderte mit einem raffinierten Schwung den schweren grauen Ulster von seinen Schultern. Es war eine männlich-sportliche Geste, um die ihn schon mancher Kollege beneidet hatte. Der Hut flog ebenfalls mit gewandtem Schwung auf den Haken, und Hilde mußte wieder im stillen lächeln über die Jungenmanieren dieses graumelierten Herrn.
    Bis der Kellner an ihren Tisch kam, um die Bestellung entgegenzunehmen, hatte Heinz noch eine Weile Zeit, um seine Eroberung zu betrachten. Beim Zeus, das Mädel sah gut aus. Sehr gut sogar, wenn nicht sogar hübsch, entzückend, bezaubernd und süß. Man hätte eine ganze Süßholzraspelskala herunterleiern können, und doch wäre alles nur ein toter Ausdruck gewesen gegenüber der sprühenden Lebensfrische dieses Mädchens. Der kurze, enganliegende braune Pullover unter dem hellgrauen Jackett, der sich straff über die jugendliche Brust spannte; die hellgrauen Flanellhosen und das schmale, frischdurchblutete Gesicht zu dieser feingliedrigen, zarten und doch energiegeladenen Figur; die weißen, wie aus Stein gehauenen Hände und überhaupt die ganze Frische, die dieser Körper atmete ohne Kosmetik, Schminke, Puder und Parfüm, das alles wirkte auf Wüllner mit einer solchen Macht, daß er sich schwor, diesen Nachmittag mit Hilde nicht den einzigen sein zu lassen, sondern das Mädchen so fest in sein Herz zu schließen, wie es nur eben möglich war.
    Daß dies eine geheime Liebeserklärung war, kam ihm nicht in den Sinn, oder er akzeptierte es nicht – denn er hatte den Standpunkt: Ein Mann, dem die Mädchen um den Hals fallen, sobald er im Theater oder auf einer Sportveranstaltung erscheint, verliebt sich nicht so leicht.
    Und an Heirat dachte er schon gar nicht, denn Ehe war für ihn Unfreiheit und Knebelung, war für ihn mehr als für den Teufel der Weihwassertopf. Wenn man auch die Junggesellen eigentümlicherweise besteuerte, das System des unehelichen Kindes glorifizierte und in Prag eine Anstalt gründete, in der auserwählte SS-Männer mit ausgesuchten Mädchen der BdM-Organisation Glaube und Schönheit zusammengeführt wurden wie Stier und Kuh; wenn man auch das daraus entstehende Kind auf Staatskosten aufzog und bereits nach der Geburt organisierte, und wenn auch diese nationalsozialistische deutsche Regierung nach Nachwuchssoldaten schrie und die Ehe zur nationalen Pflicht machte – er, Heinz Wüllner, hatte eine Abneigung gegen alles, was Bindung hieß.
    Und da kommt auf einmal dieser Stich ins Herz. Dieser unerklärliche, drängende Schmerz. Dieser süße Druck, der sich Hilde Brandes nennt, die jetzt das graue Jackett über der zarten, schwungvoll gewölbten Brust geradezieht. Wüllner wehrte sich gegen dieses Drängen, griff in die Tasche und holte ein Zigarettenetui heraus, um bei einer deutschen Kriegszigarette aus undefinierbaren Kräutern diesem Problem seiner Seele näherzurücken.
    Der Kellner brachte zwei Tassen Kaffee und – das erlaubte Heinz Wüllners Brotkarte gerade noch – je zwei Stück Kuchen. Und während sie den lederartigen Wasserteig mit gegenseitigem Lächeln hinunterwürgten, sagte Wüllner:
    »Wer hätte gedacht, daß der einst so berühmte Kuchen des Berliner Kurfürstendamms so zäh und ungenießbar ist wie unsere oberste Regierung? Es scheint fast, man will vom Größten bis zum Kleinsten nichts auslassen, um die neue Epoche zu erzwingen – sei es Kuchen oder Kunst.«
    »Wie meinen Sie das, Herr Wüllner?« fragte Hilde und kaute an der Rinde ihres Kuchens.
    »Ich weiß nicht, ob Sie an diesen Dingen interessiert sind, aber betrachten Sie einmal die Architektur, das Drama, die moderne Literatur, das Bühnenbild, die Malerei, die
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