Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Gebrauchsgraphik – alles, was überhaupt nur mit Kunst zusammenhängt, selbst die Musik hat sich nach unserem System ausgerichtet. Das Theater wird militärisch, das Bühnenbild asketisch, in der Musik hört man Märsche, die wie unrhythmische Hammerschläge klingen, die Architektur will der griechischen Form nacheifern und macht sich lächerlich durch ihre Unkenntnis. Man sagte einst zu uns: Wir wollen keine Paläste – aber der erste Staatsbau war eine Reichskanzlei, die nach eigenen Berichten der prunkvollste Regierungsbau Europas ist. Man verdammte das Doppelverdienertum, und selbst nahm man unzählige Stellungen ein, bezog aus zehn verschiedenen Ämtern zehn verschiedene Gehälter, erhielt allein für den bloßen Titel Staatsrat 1.000 Mark und baute sich Schlösser und kaufte sich am Rhein und in Pommern Wein- und Rittergüter für 300.000 Mark – aber dem Arbeiter an der Ruhr und im Aachener Kohlenpott rechnete man vor, daß die Steuern es dem Staat bestenfalls erlaubten, seinen Stundenlohn von einer Mark auf eine Mark zwanzig zu erhöhen.«
    Hilde Brandes war leichenblaß geworden. Scheu sah sie sich um und ergriff Wüllners Arm.
    »Mein Gott, Sie reden sich um Kopf und Kragen. Wenn das jemand hört, sitzen Sie spätestens in einer Stunde in einem Keller der Gestapo.«
    »Da haben wir es … ist das eine Freiheit, wo ein ehrliches Wort der Wahrheit geknebelt wird mit den tierischsten Methoden der Grausamkeit?«
    »Sie wissen ja gar nicht, ob ich nicht selbst von der Gestapo bin.«
    »Und wenn Sie das wären, mich kümmert's nicht. Ich würde es nur bedauern, daß sich ein so nettes Mädchen für einen so schmutzigen, abscheulichen Dienst hergibt.«
    »Seien Sie doch still!« Hilde Brandes sah sich erneut ängstlich um und versuchte, das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken. »Was ist eigentlich die Aufgabe des Europaruf, an dem Sie als Schriftleiter tätig sind?«
    Aber Heinz Wüllner hatte sich so in seine innersten Gedanken hineingeredet, daß er dieses Ablenkungsmanöver einfach überging. Er schob den halb verzehrten Kuchen brüsk von sich.
    »Es macht keinen Spaß mehr, in Deutschland zu leben. Ich habe die Feldzüge in Polen mitgemacht, war in Frankreich dabei, in Belgien, Holland, fuhr die Überfälle auf Norwegen mit und ließ mich in Tripolis versanden. Jetzt komme ich aus dem Osten und sah den Rückzug aus Stalingrad mit an. Ich habe die deutschen Soldaten verbluten sehen für ein Nichts. Habe erfahren, daß die Führung sie nur aus Prestigegründen opferte, so wie man früher ein Lamm abschlachtete. Ich sah die Armeen zusammenbrechen und die Generäle flüchten, während der einfache Landser im Dreck stand und sich selbst überlassen wurde zum Sterben oder Verkommen. Ich sah auch die Grausamkeit unserer schwarzen Truppen mit dem sinnreichen Totenkopf, jene Totengräber unserer Kultur. Ich sah Unzählige mit Genickschuß zusammenknicken. Frauen mit Säuglingen auf dem Arm, nur weil ein Nürnberger Gesetz die Menschheit in zwei Gruppen teilte, wovon die eine Gruppe einfach ausgelöscht werden mußte.«
    »Hören Sie auf«, stöhnte Hilde und zitterte am ganzen Leib. »Hören Sie auf, wenn Ihnen Ihr Leben nur ein klein wenig wert ist.«
    »Millionen wurden geopfert, Städte entvölkert, blühende Länder in Ruinen verwandelt, und das Ganze nennt man dann einen ›heiligen Krieg‹, eine ›göttliche Mission‹ – und das blinde Volk blutet, opfert, stirbt, verkommt, leidet und verhungert! Wäre dieses Spiel nicht so tragisch, man müßte lachen über unser zwanzigstes Jahrhundert!«
    Heinz Wüllner hielt inne und sog erregt an seiner dritten Zigarette. Der Kaffee war längst erkaltet, und draußen zeigte sich eine fahle Dämmerung, die durch den Schnee etwas gemildert wurde.
    »Warum kämpfen Sie dann für diese Idee?« fragte Hilde.
    Wüllner strich sich über die wirren Haare.
    »Kämpfen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Mich interessiert dieses System, wie einen Arzt auch die Verfolgung einer hoffnungslosen Krankheit in seinen Bann schlägt. Es ist gewissermaßen ein wissenschaftliches Interesse, das mich im Augenblick mit den Hunden heulen läßt, um den sicheren Verfall in seiner ganzen Auswirkung zu beobachten. Darum nur spielt man wie ein politischer Bajazzo seine Rolle in diesem lächerlichen Welttheater und zückt dann den Dolch, wenn die Komödie sich zum Drama wendet.«
    »Aber wenn Sie an der Front fallen oder zum Krüppel geschossen werden?«
    »Ein Risiko ist bei jeder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher