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Heimat

Heimat

Titel: Heimat
Autoren: Verena Schmitt-Roschmann
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wurzelt in den immer dringlicher
empfundenen Umweltproblemen. 15 Heute sind bundesweit rund 500.000 Menschen in Heimatvereinen aktiv - ob sie nun den Müll von Verkehrsinseln sammeln oder für den Anbau alter Kartoffelsorten oder den Erhalt des örtlichen Kirchturms streiten. Zehntausende berichten im Internet auf Portalen wie Myheimat.de über ihre Region. Tausende versuchen, in Mundartvereinen die eigene Sprache für die Nachwelt zu sichern. Das Bedürfnis ist tief, Landschaft und Althergebrachtes zu bewahren. 16

    Der Journalist Martin Hecht schrieb schon vor Jahren, dass Heimat als Konzept unwiederbringlich verloren sei: »Über zweihundert Jahre ist es her, dass ihr nahender Abschied gefühlt wurde und sich ihr Untergang abzeichnete. Dieser Prozess kommt jedoch erst heute zu seinem Ende.« Hecht beschreibt eine zubetonierte, einförmige, entgrenzte Welt, in der sich »Nicht-Orte« wie Autobahnraststätten und Tankstellen ebenso rasant ausbreiten wie Shopping Malls und Baumärkte und Fastfood-Restaurants mit ihren Einheitsburgern und synthetischen Aromen. Aber nicht nur physisch ist die Heimat aus seiner Sicht untergepflügt worden, sondern auch in der Theorie. »Seit die hinterweltlerische provinzielle Heimat als eigentliche Brutstätte des Faschismus entdeckt wurde, hat Heimatkritik eine stärkere Tradition als jeder Versuch, aus Deutschland wieder Heimat zu machen.« Er macht dafür Ressentiments von Intellektuellen verantwortlich, die sich in einer »Tugendtyrannei, die man political correctness nennt« selbst die Heimat verbieten und allen anderen gleich mit. Der »Hass auf die Heimat« sei en vogue, meint Hecht. 17

    Nur scheinen viele Menschen diese apokalyptische Vision schlicht zu ignorieren. So sagten 2008 in einer Emnid-Umfrage in Nordrhein-Westfalen nur 17 Prozent der 8.600 Teilnehmer, sie empfänden den Begriff Heimat als altmodisch. 18 80 Prozent stimmten - Baumarkt und Burgerbude hin oder her - ganz oder teilweise zu, als es hieß: »Die Region (in der ich lebe) ist meine Heimat.« Immerhin noch 75 Prozent bejahten die Aussage: »Ich bin stolz darauf, in (der Region) zu leben.« Bei denen, die in der fraglichen Region geboren sind, waren die Zustimmungswerte noch höher als bei den Zugezogenen. Doch nicht nur die regionale Zugehörigkeit zählt, Heimat ist für die meisten Menschen noch kleinteiliger. »Für 77 Prozent hat der Begriff Heimat viel mit Familie und Freunden zu tun«, heißt es in der Studie. Für 69 Prozent hängt er zusammen mit »Geborgenheit«.

    Viele Menschen verbinden also vielleicht im Abstrakten mit Heimat Blasmusik, Schuhplattler und Alpenglühen oder eine unberührte Landschaft im Stil des 18. Jahrhunderts ohne Hochspannungsmasten oder Windräder soweit das Auge reicht. Reflexartig kommen außerdem viele bei der Frage nach Heimat auf Deutschland zu sprechen, dieses schwierige Land mit seinem historischen Ballast.

    Die eigene Heimat dagegen ist etwas Anderes, etwas Unbestimmtes, aber auch etwas völlig Selbstverständliches. In seiner ganzen changierenden wehmütigen Wohligkeit ist der Begriff aus dem Deutschen kaum in andere Sprachen zu übersetzen. »Würde ich jetzt mit dem Mikro in der Hand zum Brandenburger Tor gehen und die Menschen fragen ‚Was ist Ihre Heimat?’, wer würde wohl antworten, sie wüsste nicht, wo ihre Heimat ist, er sei eigentlich heimatlos, man fühle sich verloren in der Welt und sei noch auf der Suche - nein, wir bekämen Antworten wie: ‚Heimat, das ist der Ort, wo ich meine Freunde habe’ oder Sätze wie: ‚Heimat ist für mich der Geruch des Pflaumenkuchens meiner Mutter’«, meint die Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. 19

    Die Tendenz ist seit längerem stabil: Heimat ist für viele klein, lokal, privat, wie schon eine Emnid-Studie von 1999 ergab. 20 Nur elf Prozent von 1.007 Teilnehmern gaben damals auf die Frage »Was ist Heimat?« die Antwort: Deutschland. Die meisten, 31 Prozent, nannten ihren derzeitigen Wohnort, 27 Prozent den Geburtsort, 25 Prozent die Familie und sechs Prozent sagten, Heimat, das seien ihre Freunde. Zehn Jahre später fand die Studie »Deutsch-Sein«, dass die Bezüge zu Heimat, Nachbarschaft und Familie vielen Bundesbürgern wichtiger seien als zum Beispiel die abstrakte »Nation«. Sie seien häufig Ersatz für eine fehlende höhere Identifikationsebene. Die Nation wärme die deutsche Seele kaum, die Deutschen suchten deshalb »Zuflucht in einem nahe liegenden Kompensationsmechanismus«,
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