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Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)

Titel: Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Autoren: Edmund Crispin
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von Waterloo wirkte Paddington wie eine Höllengrube. Hier herrschte nicht die Ordnung, die strenge Einteilung und Trennung von Maschinen und Menschen wie in dem größeren Bahnhof. Lokomotiven und Passagiere bildeten ein unentwirrbares Gewühl, und die Barrieren, die für deren Trennung gedacht waren, wirkten nur noch wie die störenden Hürden eines Hindernislaufes. Die Menschenmengen, gewaltig, unruhig und dicht gedrängt, schienen eher auf die Rücken der Züge zu klettern, wie Kinder, die sich auf der Strandpromenade auf einen Esel drängeln, als auf die normale Weise einzusteigen. Die Lokomotiven schnauften und ächzten wie Igel, die vorzeitig ihr Leben aushauchen, weil sie von Horden räuberischer Ameisen überrannt werden; jeder Versuch abzufahren, so meinte man, mußte unweigerlich Tausende dieser Insekten zerquetschen und zermalmen – sie hätten keine Chance, sich rechtzeitig von den Puffern und Kurbelstangen zu befreien.
    Inmitten des Menschengewühls war die Hitze unerträglich, so daß man meinte, sich ziellos immerzu weiter bewegen zu müssen, auch wenn das kaum möglich schien. Vielleicht ließen sich gewisse Hauptströme ausmachen, zwischen den Bars, dem Bahnsteig, den Fahrkartenschaltern, den Toiletten und den Haupteingängen; aber auch die hatten nur die schablonenhaften Grenzen von Wasserläufen auf einer Landkarte – bei den lediglich Teilnahmslosen, die in melancholischer oder hoffnungsloser Haltung an den Kreuzungen ihrer Zusammenflüsse standen, traten sie über die Ufer. Auf ebener Erde wies diese Menschenmasse in ihrem Bemühen, sich hierhin und dorthin zu bewegen, erstaunliche Abweichungen von der Horizontalen auf; Menschen drängten ihren Zielen entgegen und neigten sich dabei im gefährlichen Winkel nach vorne, oder wenn sie um die Körper derjenigen herumspähten, die vor ihnen waren, sahen sie aus wie halb enthauptete Kriminelle. Scharen von Soldaten, die schwere, weiße, offenbar mit Blei gefüllte Zylinder trugen, drängelten sich entschuldigend durch das Gewühl oder saßen auf Seesäcken und ließen sich von allen Seiten anrempeln. Eisenbahnbedienstete kontrollierten die Szene mit der nervösen Autorität von Lehrern, die ihren Schülern kurz vor den Ferien noch höfliche Aufmerksamkeit abzuringen versuchen.
    »Großer Gott«, sagte Geoffrey, während er sich vorwärtskämpfte und mit seinem Koffer immer wieder unfreiwillig die Knie anderer Leute malträtierte, »ob wir es wohl jemals schaffen, in den Zug zu gelangen?«
    Fielding, der noch immer unpassenderweise die Berufskleidung seiner letzten Arbeitsstelle trug, schnaubte nur; die Hitze schien zuviel für ihn zu sein. Nachdem sie zerrend und schubsend zwei Meter weiter gelangt waren, sagte er:
    »Um wieviel Uhr soll er abfahren?«
    »Erst in einer Dreiviertelstunde.« Doch der entscheidende Teil des Satzes ging in einem plötzlichen dämonischen Heulen und Pfeifen unter. Er wiederholte es aus vollem Halse. »In einer Dreiviertelstunde«, brüllte er.
    Fielding nickte und verschwand dann überraschend, rief noch eine Erklärung, von der nur das Wort »Kleidung« hörbar war. Ein wenig verwirrt, wühlte Geoffrey sich zum Fahrkartenschalter durch. Der Fahrkartenkauf nahm gut zwanzig Minuten in Anspruch, doch der Zug würde anscheinend ohnehin mit Verspätung abfahren. Er schwenkte seinen Koffer optimistisch fragend in Richtung eines Kofferträgers, der in Erfüllung irgendeines unbekannten Auftrages gemächlich vorbeitrottete, und wurde ignoriert.
    Dann entschloß er sich, ein wenig traurig über die Qualen sinnierend, die unsere Nachsicht uns aufnötigt, etwas trinken zu gehen.
    Das Restaurant war mit Vergoldungen und Marmor verziert, eine unangemessene Pracht, die das Geschehen in eine eigentümliche Tristesse tauchte. In weiser Voraussicht hatten diejenigen, deren Verantwortung es war, daß die Leute rechtzeitig im Zug saßen, die Uhr zehn Minuten vorgestellt, ein Trick, der häufig zu panikartigen Aufbrüchen bei denjenigen führte, die der Annahme waren, daß sie die richtige Zeit zeigte. Sie wurden augenblicklich von anderen beruhigt, deren Uhren nachgingen. Sobald die genaue Uhrzeit festgestellt wurde, kam es erneut zu einer noch größeren Panik. Durch die gesetzlich geregelten Restriktionen in Kriegszeiten wie beispielsweise strenge Sperrstunden war die Bevölkerung darauf konditioniert, bis zur allerletzten Minute in Bars und Pubs zu verweilen.
    Geoffrey stellte seinen Koffer an einer Säule ab (sogleich stolperte jemand
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