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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt
Autoren: Purpurmond
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nickend zustimmen.
    Mit dem alten Malefizhaus war auch das letzte Zeugnis von der dunklen Zeit der Bamberger Hexenprozesse vernichtet.
    »Hexe, Hexe, du sollst brennen, mit dem Kopf nach unten hängen …«, glaubte ich, ein paar dünne Kinderstimmchen durch die schwüle Luft wehen zu hören. Aber wahrscheinlich war es nur der Wind, der aufgekommen war und durch die zartgrünen Birken des Parks pfiff.
    »He, Cat! Aufwachen!«
    Caros Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Sie musterte mich belustigt. »Du hast gerade geguckt, als wäre dir ein Geist erschienen«, meinte sie.
    Ich grinste etwas mühsam. »So was Ähnliches«, murmelte ich. So gern ich Caro hatte, konnte ich ihr doch nicht erzählen, dass der »Geist«, der mich verfolgte, eine Mönchskutte trug und wunderschöne graue Augen hatte. Auch wenn ich heilfroh war, am Leben zu sein, und glücklich, meine Eltern und mein Zuhause wiederzuhaben: Der Schmerz über Jakobs Verlust war wie ein schwerer, dunkler Schatten, und ich würde ihn noch eine ganze Weile mit mir herumtragen.
     
    Am nächsten Tag stand es auch groß in der Zeitung, dass das ehemalige Hexengefängnis bis auf die Grundmauern abgebrannt war. Und damit verschwanden auch die letzten Schemen der Angst und der Alpträume aus meinem Leben, wie Fledermäuse, die aus den Schattenwinkeln ihrer Verstecke flogen und auf Nimmerwiedersehen in die Nacht eintauchten. Was blieb, war die Erinnerung an Jakob, Dorothea und Daniel, aber auch an die alte Grete und ihre Nachfahrin im Zinkenwörth. All jene Menschen, die ich kennengelernt und wieder verloren hatte, die jedoch für immer in meinem Herzen bleiben würden. Ich blinzelte die aufsteigenden Tränen weg, und mein Blick fiel auf Caro und Anna, die sich scherzhaft um den letzten Keks balgten, während Nico Felix den Anteil von Kevlar in den verschiedenen Modellen der Carbonschläger beschrieb.
    »Mann, willst du Badminton spielen oder dein Diplom in Werkstoffwissenschaften machen?«, fragte Felix entnervt.
    Grinsend beobachtete ich meine neuen Bekanntschaften, und in mir wuchs die Überzeugung, dass Bamberg im Jahr 2012 doch gar nicht so schlecht war.
     
    Am darauffolgenden Wochenende landeten wir alle zusammen auf einer ziemlich schrägen Karaokeparty, die nur Oldies spielte und nichts aus den aktuellen Charts auf Lager hatte. Also grölte Nico den 60er-Jahre-Song »The Lion Sleeps Tonight« ins Mikro, während Anna, Caro und ich uns als Background-Sängerinnen anboten und in einem grauenhaften Falsett »a-weema-wep, a-weema-wep« jaulten. Und wie ich so auf der Bühne stand, liefen mir nach kurzer Zeit die Tränen über die Wangen – das erste Mal seit langem aber vor Lachen.

Epilog
    E in tiefblauer Himmel spannte sich wie ein seidiger Schirm über Bamberg, und die Erde war sonnenwarm. Ich saß am Fuß des Klosters Michaelsberg im Gras. An meinem Rücken fühlte ich die raue Rinde eines Apfelbaumes und in meiner Hosentasche das Gewicht des Ammoniten. Seit dem Frühsommer war ich oft hierhergekommen, wie magisch angezogen von dem Ort, an dem Jakob und ich unsere letzten Stunden miteinander verbracht hatten. Inzwischen war es Herbst geworden, und die Blätter der Apfelbäume färbten sich in einem sanften Ocker. Die Äste hingen voller rotgelber Früchte, die wie kleine Septembersonnen zwischen dem Laub hervorleuchteten. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme der milden Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, sanft wie eine Liebkosung.
    Im Juni war der Kummer um Jakob noch ein heftig brennender Ganzkörperschmerz gewesen, im Juli ein Ziehen zwischen Kehle und Magen und im August ein spitzes Herzpieken. Jetzt im Herbst, wenn morgens der Nebel als geheimnisvoll-rauchiger Dunst über den Wiesen schwebte und das zarte Gespinst taufeuchter Spinnweben zwischen den Halmen funkelte, spürte ich ab und zu noch ein dumpfes Pochen. So wie das gleißend-weißgelbe Licht des Hochsommers zu einem gedämpften, grüngoldenen Septemberschimmer verblichen war, hatte sich mein glühender Kummer in eine sanfte Traurigkeit verwandelt. Das nennt man wohl »Akzeptieren der Tatsachen«, dachte ich und seufzte tief.
    Da hörte ich ein dumpfes »Plonk«, und im gleichen Moment traf mich etwas Hartes am Kopf. »Aua«, entfuhr es mir, mehr vor Überraschung als vor Schmerz, und ich riss die Augen auf. Ein Apfel hatte sich von seinem Ast gelöst und war mir mitten auf den Kopf gefallen. Unschuldig lag er neben meinem rechten Knie im Gras. Ich rieb mir die Stelle, wo die Frucht mich
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