Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt
Autoren: Purpurmond
Vom Netzwerk:
wissen. Ich musste erfahren, was aus Jakob geworden war! Aus Körners Akte wusste ich immerhin schon mal, dass er kurz nach meinem Verschwinden Abt des Mönchsklosters geworden war. Mit dem Suchbegriff »Jakob Flock« scheiterte ich kläglich, bis ich auf die glorreiche Idee kam, »Bruder Jakobus« in den Suchmodus einzugeben. Und tatsächlich stand dort, dass der alte Abt des Klosters im Dezember 1630 überraschend verstorben war. Nach dessen Tod wurde »Bruder Jakobus, der jüngste Konventsbruder auf dem Michaelsberg zu Bamberg« als neuer Leiter des Klosters bestimmt, weil durch »seine maßgebliche Mitwirkung die Stadt von den Hexenprozessen befreit werden konnte«, wie es in den Unterlagen hieß.
    Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich war stolz auf ihn. Doch dann sah ich noch einen kurzen Absatz, nicht mehr als vier Zeilen. Meine Freude erlosch wie eine Kerze im Windzug und das Herz wurde mir schwer. Dort stand, dass Jakob 1683, im Alter von 71 Jahren, gestorben war. Man hatte ihn auf dem Friedhof des Klosters Michaelsberg begraben, das mehr als 100 Jahre nach seinem Tod, nämlich 1802, aufgelöst wurde und in den Besitz der Stadt Bamberg zurückfiel. Seitdem befand sich dort ein Seniorenheim. Wie betäubt sank ich in meinen Schreibtischstuhl zurück. Natürlich wusste der logische Teil in mir, dass Jakob nicht unsterblich war. Schwarz auf weiß von seinem Tod zu lesen, war jedoch etwas ganz anderes. Ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte, bis ich fast nicht mehr aus den Augen gucken konnte. Erst als ich das Dokument schon mit einem wütenden Mausklick schließen wollte, fiel mein Blick auf eine verschwommene Zeichnung. Es war ein Friedhof mit einem Grabstein, auf dem ein paar Zeilen eingemeißelt waren. Ich stieß fast mit der Nase an den Bildschirm, so nah ging ich ran, um die Inschrift zu entziffern. Vergeblich. Hastig klickte ich den Vergrößerungsmodus an. Es war der Grabstein von »Bruder Jakobus«. Der Name und die Daten waren fast verwittert, und ich konnte nur Teile der lateinischen Schrift entziffern: ABBATIS TITULO MONACHIVEL NOMINE FUNCTIS, was ich mit meinen kläglichen Lateinkenntnissen als »in des Abtes Amt« oder »als Mönch tätig« übersetzte, und REQUIESCAT PACE BEATA, was so viel hieß wie »ruhe er in seligem Frieden«. Eine Zeile war vollständig erhalten und auf Deutsch. Ich aktivierte die Lupe in der Funktionsleiste. Am unteren Ende des Grabsteins stand: »Die Liebe bewegt die Sonne und alle Sterne.«
    Eine Gänsehaut überzog meine Arme, bis hoch zu meinem Hals. Gleichzeitig durchströmte mich dasselbe Gefühl wie damals, als Jakob mich geküsst hatte. Denn in diesem Moment wusste ich, dass er in seinem ganzen Leben nur ein Mädchen geliebt hatte: mich.
     
    Die restlichen Ferien versuchte ich krampfhaft, mich damit abzufinden, dass Jakob nicht mehr da war. Es nutzte nichts: Er fehlte mir schrecklich. Genau wie seine Schwester. Warum konnten er und Dorothea nicht in meiner Zeit leben? Dann hätte ich einen Freund und eine Freundin. Aber so war ich in Bamberg nicht nur völlig alleine, sondern auch einsam. Und morgen würde die Schule wieder beginnen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, als stünde ich in einem Fahrstuhl, der ziemlich schnell abwärtsrauschte. Das Ende der Ferien bedeutete, Sina und ihrem Hofstaat erneut ausgeliefert zu sein. Ich war sicher, die Ängstlichkeit, mit der mich Mia, Eve und die anderen am letzten Schultag gemustert hatten, würde verschwunden sein, sobald Sina den ersten Schritt ins Klassenzimmer tat. Dann würden sie sich wieder alle zusammenschließen und gegen mich stänkern. Und ich stünde, wie bereits vor den Ferien, als Außenseiterin da.
     
    Noch eine Viertelstunde bis Unterrichtsbeginn. Angespannt saß ich auf meinem Platz und hatte meine Englisch-und Biobücher wie einen Schutzwall vor mir aufgebaut. Ich war absichtlich früher gekommen, um beim Eintreten nicht Sinas Vipernblick und das hämische Gekicher ihrer Getreuen abzukriegen. Wenn ich saß, konnte wenigstens keiner sehen, dass mir die Knie zitterten, weil ich nicht wusste, was Sina in den Ferien für Rachepläne ausgeheckt hatte. Meine rechte Faust umklammerte Jakobs versteinerten Talisman, als könne er mir Stärke verleihen. Langsam füllte sich das Klassenzimmer. Zu meinem Erstaunen sagten die meisten ganz freundlich hallo zu mir. Eine kleine Dunkelhaarige, die mit ihrer Platznachbarin, einer großen, dünnen Blonden reinkam, was aussah wie Pat und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher