Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt
Autoren: G Pauly
Vom Netzwerk:
Augenblick auf. Graf Arndt bedeckte das Briefblatt mit der Hand und sah sich ungehalten um. Doch seine Miene glättete sich, als er Elisa sah.
    »Wo ist Onkel Marinus? Will er nicht dabei sein, wenn König Carol nach Sylt kommt?«
    »Ich weiß nicht, wo er ist. Seit gestern habe ich ihn nicht gesehen.« Graf Arndt wurde ungeduldig. Ein Gespräch über seinen Bruder wollte er jetzt nicht führen. Diese Zeit war vorbei. Dieser Teil der Zeit würde sich ohne ihn fortbewegen.
    Er wandte sich wieder seinem Brief zu, entschloss sich dann aber anders und drehte sich wieder zu Elisa herum. »Ich werdespäter anspannen lassen. Deine Mutter ist unpässlich. Rosemarie macht ihr kalte Umschläge. Ich hoffe, sie helfen.«
    Elisa zögerte. »Also gut. Dann gehe ich schon mit Hanna voraus. Obwohl Mutter sagt, ich soll mit der Kutsche fahren, damit ich nicht verschwitzt am Conversationshaus ankomme. Ich sehe dann immer so unschicklich gesund aus.«
    »Fürst Alexander wird es gefallen, ich bin sicher.« Der Graf zögerte, und Elisa sah ihn fragend an. Sie schien zu spüren, dass ihm noch etwas auf der Seele brannte »Elisa … ist der Fürst wirklich der Richtige für dich? Wenn nicht …«
    »Er ist der Richtige!«
    »Wenn du deine schnelle Entscheidung bereust …«
    »Red nicht so, Vater! Ich kenne meine Pflichten.«
    Graf Arndt sah seiner Tochter nach, wie sie aus dem Zimmer ging, freute sich an der Leichtigkeit ihr Bewegungen, an der Kraft, die sie ausstrahlte. Und dann freute er sich darüber, dass er überhaupt noch Freude empfinden konnte. Sechzehn Jahre hatte diese Freude angedauert. Es wäre unbescheiden, noch mehr zu erwarten.
     
    Es war gekauftes, aber doch vollkommenes Glück, Katerina! Dann jedoch hat dieser unselige Zufall alles verändert. Und was das Schlimmste ist: Er hat nicht nur die Umstände verändert, die Sicherheiten genommen, die Gewissheiten verschoben, sämtliche Erinnerungen manipuliert … er hat auch Dich verändert. Vor allem Dich! Das weiß ich nun seit ein paar Stunden. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass Du fähig bist, um Dein Glück zu kämpfen, dass Du imstande bist, mit allen Mitteln zu kämpfen und sogar bis aufs Blut. Als der Inselvogt Dein Collier zurückbrachte, hatte ich das Gefühl, Dich nie richtig gekannt zu haben. In diesem Augenblick habe ich Dich mehr geliebt als je zuvor. Und ich wusste trotz allem, dass ich vor sechzehn Jahren eine gute Entscheidung getroffen habe. Nur aus Liebe entsteht so viel Mut, wie Du ihn bewiesen hast. Aber
dass meine Entscheidung Dich zur Mörderin gemacht hat, ist mehr, als ich verkraften kann. Dass der falsche Mensch, Hauke Bendix, gestorben ist, spielt dabei keine Rolle. Wie hast Du es eigentlich aufgenommen, dass die Hebamme noch lebt? Und wen hast Du beauftragt, Dr. Nissen zu töten? Ich habe diesen Kerl gehasst, als er mit seiner Erpressung ins Haus kam, aber für die größte Erschütterung hast Du gesorgt. Nein, ich war nicht erleichtert, dass Dr. Nissen nun für immer schweigen wird, ich war erschüttert über diese Kälte in Dir, die ich bis dahin anbetungswürdig gefunden hatte. Aber ich habe sie allem Anschein nach seit Jahren falsch interpretiert. Und weil sie immer wieder – und immer dann, wenn ich glaubte, erfrieren zu müssen – schmelzen konnte in Deiner lodernden Mutterliebe, die mir den Atem nimmt, solange es Elisa gibt. Ich hatte keine Ahnung, wie weit diese Liebe gehen kann. Und seit ich es weiß, hat meine Schuld ein Gesicht bekommen. Deins! Nicht Geesche Jensens, Dr. Nissens, nicht Hauke Bendix’ Gesicht – nein, meine Schuld sieht aus wie Du. Und das macht sie so unerträglich, dass ich sie beenden muss. Ich wollte Dich immer so, wie Du bist. Aber nun ist es geschehen, dass Du wurdest, wie die Umstände Dich gemacht haben. Die Umstände, für die ich verantwortlich bin. Diese Erkenntnis ist mir unerträglich.
     
    Er hörte Stimmen vor dem Haus und legte den Federhalter zur Seite. Schwerfällig erhob er sich, als müsste er für diese Bewegung alle Kraft aufwenden. Aber noch mehr Kraft hätte es ihn gekostet, sitzen zu bleiben und auf den Blick aus dem Fenster zu verzichten.
    Er sah Elisa und Hanna den Weg entlanggehen. Eine leichtfüßige, gesunde, kräftige junge Frau, stolz, aufrecht, standesbewusst. Daneben die schwankende, humpelnde, jämmerliche Gestalt, die sich abmühen musste, um folgen zu können. Die eine mit kunstvoll aufgesteckten Locken, die andere mit bleichen Strähnen, die sie im Nacken mit einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher