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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen
Autoren: Christoph Marzi
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»Wir haben hier gesessen, in diesem Raum, immer bei Kerzenschein. Wisst ihr, sie konnte den Schein der Kerzen spüren. Sie hörte sie förmlich flackern. Ich habe ihr alles vorgelesen und sie hat die Bilder berührt, die ich ihr beschrieben habe. Die Illustrationen . . . sie hat gesagt, dass sie die Bilder in Gedanken sehen kann.« Mr Merryweather hielt inne. »Aber das war später«, murmelte er. »Viel später.«
    David warf Heaven einen Blick zu. Es war nicht das erste Mal, dass er hier war und Mr Merryweather eines der Bücher lieferte, die Miss Trodwood für ihn ausfindig gemacht hatte. Und jedes Mal erzählte der alte Mann seine Geschichten. Er fing bei seiner verstorbenen Frau an und hörte beimZweiten Weltkrieg auf. David mochte das irgendwie, es erinnerte ihn ein bisschen an seinen Großvater, der zuletzt nicht mehr gewusst hatte, welcher Tag es war, aber jedes Detail seiner Zeit als Matrose auf einem U-Boot im Kalten Krieg im Gedächtnis hatte.
    Aber auch wenn David gerne hier war, war er sich nicht ganz sicher, was andere von Mr Merryweathers alten Geschichten hielten. Ihm fiel Kelly ein und er überlegte, wie sie reagiert hätte. Wahrscheinlich hätte sie die Erzählungen des alten Herrn als seniles Gequatsche abgetan, oder noch schlimmer, versucht, ihn zu einer dieser entwürdigenden Veranstaltungen in einem sogenannten Seniorenzentrum zu überreden.
    David sah Heaven an.
    Heaven hörte gespannt zu.
    »Als wir frisch verheiratet waren«, fuhr Mr Merryweather fort, »da lebten meine Frau und ich in einem großen Haus oben in Hampstead Heath. Wir waren noch so jung. Eines Nachts kamen die Bomber.« Er schlug hart mit der Faust auf den Tisch. »Der verdammte Blitzkrieg, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das für eine Zeit gewesen ist. Damals war noch ein richtiges Firmament über der City zu sehen. Nicht dieses sternenlose Nichts, das heute dort ist.« Er schüttelte den Kopf und nahm einen Zug an der Pfeife. »Nun denn, die Deutschen kamen in der Nacht und wir haben uns wie die Ratten unten in der U-Bahn verkrochen, während es über uns gedonnert hat.« Er ging auf und ab, betrachtete das Buch dabei. »Das Haus, in dem wir damals lebten, wurde eines Nachts getroffen. Gas trat aus. Es gab ein Feuer. Die Bücher, die mein Vater gesammelt und dannmir gegeben hatte, sie verbrannten alle.« Er klopfte auf den Walter Scott. »Der hier gehörte dazu.«
    »Das Buch, aus dem Sie immer vorgelesen haben?«, fragte Heaven.
    Mr Merryweather nickte. »Das allererste Buch.«
    Heaven rieb sich die Augen.
    »Als meine Frau von mir gegangen war, wollte ich es wieder besitzen. Es wird einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek einnehmen. Tausend Dank an die gute Miss Trodwood. Sie findet wirklich immer alles.«
    Heaven wankte. »Was werden Sie damit tun?«
    David fragte sich, ob sie eine Ahnung hatte, wie viel Geld der alte Herr für diese Ausgabe bezahlt hatte.
    »Ich werde meiner Frau wieder daraus vorlesen«, sagte Mr Merryweather. »Ich werde ihr Bild dort drüben auf der Kommode aufstellen und ihr vorlesen, wie damals. Und wir werden uns nahe sein. Ja, wie früher.«
    Heaven lächelte. Sie hielt sich an der Lehne des Ohrensessels fest und dann strauchelte sie.
    »Geht es Ihnen gut, Kind?«, fragte Mr Merryweather besorgt.
    David war schon bei ihr.
    Sie schüttelte den Kopf. »Mir ist schwindlig«, stammelte sie. Ihre Hand berührte die Stelle, an der ihr Herz war. Oder gewesen war, wie sie glaubte. Dann ging sie in die Knie.
    David fing sie auf. Mr Merryweather legte das Buch auf die Kommode.
    »Sie muss an die frische Luft«, sagte David schnell.
    Mr Merryweather eilte voran zur Tür. Er war ganz aufgeregt und zupfte sich fortwährend an seinem Backenbart.
    Draußen nieselte es noch immer. Die Luft roch schwer nach Gras und Erde und braunem Laub. Schwer lehnte sich Heaven an David, doch nach einem Moment im Freien sah sie wieder ein bisschen besser aus.
    »Sie sollten einen Arzt aufsuchen, Mädchen«, riet Mr Merryweather besorgt.
    »Das wird sie«, versprach David.
    »Kann ich mich darauf verlassen?«, hakte Mr Merryweather nach.
    »Ich passe schon auf sie auf.«
    Heaven sagte leise: »Das war eine schöne Geschichte. Die, die Sie erzählt haben.«
    Mr Merryweather lächelte. »Das ist alles, was ich noch habe. Meine Geschichten. Geld ist nicht wichtig.« Er zwinkerte den beiden zu. »Seid glücklich«, wünschte er ihnen. »Und du«, fügte er David zugewandt fort, »bestell Miss Trodwood die besten Grüße. Es
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