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Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii
Autoren: James A. Michener
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ähnlich absurden Zufall eine andere Baumart auf die Insel kam. Nach einer Jahrmillion von Zufällen, nach fünf Millionen Jahren mit Stürmen und Vögeln und aufgeweichtem Treibholz, an dem noch Schnecken und Holzwürmer saßen, besaß die Insel einen Wald mit Blumen und Vögeln und Insekten.
    Nichts, aber auch gar nichts, das je hier existierte, war mit Leichtigkeit auf diese Insel gelangt. Selbst die Felsen waren aus feurigen Schloten durch den kilometertiefen Ozean heraufgepreßt worden. In fürchterlichen Qualen gelangten sie an die Oberfläche der Erde. Die Flechten trug der Sturm herbei. Die Vögel erreichten die Insel mit ermatteten Schwingen. Insekten gelangten nur zu der Insel, wenn Wirbelstürme sie dorthin verschlugen, und selbst die Samen der Bäume wurden im schwarzen Gedärm der wandernden Vögel hergebracht oder an ihrem Gefieder hängend.
    Zeitlos, erbarmungslos, in Sturm und Hunger und Wirbelwind wurde der Insel Leben geschenkt, und dieses Leben wurde nur durch stete vulkanische Eruptionen erhalten, die neue Lavaströme ausspien, aus denen die lebenserhaltende Erde gebildet werden konnte. Diese Insel lebte in Wildheit, und in Wildheit wurde eine große Schönheit geboren.
    Die von dem Meer ausgewaschene Küste der Insel bestand aus riesigen Felsklippen, in denen sich die Abendsonne fing und die dann wie schartige Säulen aus purem Golde glänzten. Die Berge waren hoch und zerklüftet, am Fuß von dunklen Wäldern umgeben, und die Gipfel mit ewigem Eis bedeckt. In dem stillen Wasser der Buchten, die tief in die Küste einschnitten, spiegelte sich die Pracht der Berge. Täler und sanfte Auen, Wasserfälle, Lichtungen, auf denen sich Liebende hätten ergehen können, und Zusammenflüsse von Strömen, an denen Städte hätten errichtet werden können - die liebliche Insel war mit allem ausgestattet, was sich eine Zivilisation nur wünschen konnte. Aber kein Mensch erblickte sie je, und die verführerischen Lichtungen boten keinen Liebenden Erquickung, denn die Insel war lange vor dem Zeitalter des Menschen zur Schönheit erwacht; und im Augenblick ihrer Vollendung begann sie zu sterben. In Wildheit war sie geboren worden, und in Wildheit sollte sie wieder vergehen.
    Ein plötzlicher Stoß erschütterte die Erde, alles kam ins Wanken und Gleiten, und als sich nach Tausenden von Jahren das Gleichgewicht wieder herstellte, war die Insel um vierhundert Meter tiefer ins Meer gesunken. Kein Schnee bedeckte mehr ihre Gipfel. Die Vulkane verlöschten und keine Lava wurde mehr ausgeworfen, um den Boden zu erneuern, der in den Ozean gesunken war. Während Millionen Jahren fegte der Wind über die Hügel, und das Meer nagte an der Küstenwehr der Insel. Jahr um Jahr welkte die Insel dahin und wurde weniger. Sie begann abzublättern, zu zerbröckeln und wieder in den Ozean zu sinken, aus dem sie entstanden war. Eine Jahrmillion verging um die andere, und die Insel, die so geduldig am Nordwestende des großen Grabenbruchs gewachsen war, verschwand. Die Vögel, die sich auf ihren Hügeln genährt hatten, zogen weiter und trugen in ihren
    Eingeweiden neue Samen mit sich fort. Von ihren Küsten wurden befruchtete Insekten zu anderen Inseln gesandt, und das Leben ging weiter. Einmal alle zwanzig- oder dreißigtausend Jahre verschwand ein Stück Natur von der Insel, und das Leben ging weiter.
    Aber während die Insel versank, entwickelte ein anderes Lebewesen eine erhöhte Tätigkeit. In den warmen, klaren, nahrungsreichen Gewässern, die die Küste umspülten, begannen Korallenpolypen zu gedeihen und ließen ihre winzigen Kalkskelette wenige Meter unter der Meeresoberfläche zurück, wenn sie starben. In tausend Jahren bildeten diese Tierchen einen verborgenen Ring um die Insel. In weiteren tausend Jahren erweiterten sie die Insel, und während die Äonen vergingen, bauten diese kleinen Korallentierchen ein Riff.
    Im Norden schmolz das Eis, und die Korallen wurden unter den riesigen Wassermengen verschüttet. Das Meer veränderte seine Temperatur, und die Tiere starben. Der Regen rann in Sturzbächen von den Hügeln der Insel, verschlammte die Küstengewässer und erstickte die Korallen. Neue Eiskappen bildeten sich fern im Norden und Süden und zogen das Wasser von der sterbenden Insel fort. Die Korallen wurden bloßgelegt und starben sogleich. Wie alles, was mit der Insel zusammenhing, war das Leben der Korallen während ihrer ganzen Geschichte stets gefährdet gewesen. Immer waren sie den Katastrophen ausgesetzt.
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