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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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zu verstehen“, lobte er und musterte den Wirt, der sich auf seiner metallisch glänzenden Arbeitsfläche abstützte. Der Mann war etwas kleiner als er selbst und mehr als gut gebaut. Mit Sicherheit war er der viel beachtete Schwarm nicht nur eines jungen Mädchens.
    „Wie kommt man zu so einem ausgefallenen Vornamen?“, fragte Manzetti schließlich.
    „Bestimmt nicht anders als Sie zu Ihrem, oder?“
    Manzetti blieb völlig gelassen. Er sah den Mann, den er auf Ende zwanzig schätzte, nur mit seinen ruhigen Augen an, dachte dabei, dass einem Burschen, der über fünfzehn Jahre jünger war als er selbst, eine solche Gegenfrage nicht zustand, und wartete.
    Nach einer kurzen Pause, in der Silbermann seine Augen mal auf Manzetti und mal auf Sonja gerichtet hatte, sagte er endlich: „E, L, L, I, O, T, T – Elliott. Ist die englische Form von Elias, und wenn man wie ich aus einer Künstlerfamilie stammt, heißt man nicht Karsten oder Sven, sondern Nepomuk oder eben Elliott … Übrigens ist mein berühmtester Namensvetter Elliott, das Schmunzelmonster.“
    Manzetti wusste zwar nicht, wie ein Schmunzelmonster aussah, entwickelte aber beim Anblick des ständig grinsenden Mannes eine gewisse Ahnung.

    *

    Manzetti beschloss, Silbermann den anderen Gästen zu überlassen und ihn lieber zu einem späteren Zeitpunkt in die Direktion vorzuladen. Als er sich umdrehte, um an den Tisch des Intendanten zu gehen, blieb sein Blick an einer silbernen Posaune hängen. Das Instrument war alt, vermutlich sogar sehr alt und hing über dem dunklen Weinregal an der Wand. Die fleckige Oberfläche und die kleinen, aber gut sichtbaren Beulen verrieten selbst einem Laien, dass die Posaune für immer verstummt war. Trotzdem schloss Manzetti die Augen und versuchte sich vorzustellen, wo sie im Orchester zu finden sein würde … Hinten links, war sein erster Gedanke. Nein, nicht links. Hinten rechts, noch vor der Tuba.
    „Sitzen die Posaunen rechts oder links?“, fragte er den Intendanten, als er an dessen Tisch trat.
    „Bitte?“ Der Intendant sah ihn mit großen Augen erstaunt an.
    „Die Posaunen. Sitzen die rechts oder links in einem Orchester?“
    „Das hängt vom Dirigenten ab“, erklärte er nun. „Auf jeden Fall sind sie ziemlich weit hinten. Man kann sich vielleicht als Leitsatz merken, je höher die Stimmlage, umso weiter vorne sind die Bläser zu finden. In unserem Orchester sitzen die Posaunen rechts hinten.“
    „Und die Trompeten links, richtig?“, stocherte Manzetti auch zur Überraschung der Dame neben dem Intendanten weiter. Es war offensichtlich, dass man mit anderen Fragen aus seinem Munde gerechnet hatte.
    „Ja. Die Trompeten befinden sich links neben den Posaunen und rechts von den Posaunen sitzt die Tuba. Aber warum fragen Sie das alles?“ Der Intendant verschränkte die Arme, machte aber ansonsten ein sehr freundliches Gesicht. Ihm gefiel wahrscheinlich, dass sich jemand über das normale Maß hinaus für sein Orchester interessierte.
    „Ich habe ein Jahresabo für die Symphoniekonzerte in Ihrem Haus“, erklärte Manzetti. „Und da stelle ich mir manchmal solche Fragen … Mich macht es wahnsinnig, wenn ich keine Antwort finde. Geht Ihnen das nicht auch so?“
    „Mir? Ja, oder besser hin und wieder. Was machen Sie denn in so einem Fall, um nicht wahnsinnig zu werden?“
    Manzetti brauchte nicht lange zu überlegen. „Ich rufe meine Frau an. Oder Dr. Bremer und hoffe, dass er nicht wieder zu viel getrunken hat, um mir zuzuhören.“
    „Dr. Bremer?“ Der Intendant strich sich mit dem Zeigefinger unter die Nase. „Ich kenne keinen Dr. Bremer. Ist der Mann Arzt?“
    „Ja. Aber es ist nicht so einfach mit ihm. Deswegen kommen wohl auch die wenigsten seiner Patienten zwei Mal.“
    „Weil er nicht immer nüchtern ist?“ Damit machte der Intendant deutlich, dass er Manzetti aufmerksam zugehört hatte.
    „Nein, deshalb eigentlich nicht“, widersprach er schmunzelnd. „Er ist Gerichtsmediziner.“
    Der Intendant nickte anerkennend, wohl wegen der kleinen dramaturgischen Einlage, die er einem Polizeibeamten so sicherlich nicht unbedingt zugetraut hätte.
    „Aha. Und weil Ihre Frau oder dieser Dr. Bremer nicht zu erreichen sind, erkundigen Sie sich bei mir nach der Anordnung der Instrumente in einem Orchester.“
    „So ungefähr“, bestätigte Manzetti. „Wissen Sie, ich frage mich seit heute früh, wo ich die Tote schon einmal gesehen habe.“
    „Und?“
    „Zwischen den Hörnern und den Posaunen.“
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