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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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wurde, obwohl noch vor einer halben Stunde draußen eine Leiche gelegen hatte, die zu Lebzeiten sogar zum hauseigenen Orchester gehört hatte.
    Als Manzetti schon Luft holte, um seine Gedanken in Worte zu fassen, stand der Intendant neben ihm auf und räusperte sich für jeden hörbar. „Meine lieben Freunde“, begann er mit erhobenen Händen. „Wir haben uns hier heute versammelt, weil ein furchtbares Verbrechen vor unserer Tür begangen wurde. Es ist schlimm, sehr sogar, wenn man so wie wir da hineingezogen wird. Viel schlimmer ist es aber für das Opfer selbst und für dessen Familie …“ An dieser Stelle legte der Intendant eine kleine Pause ein, um seine erneut aufkeimenden Gefühle zu unterdrücken.
    „Wenn aber alles zusammenfällt, wenn wir nicht nur durch den Ort des Verbrechens betroffen sind, sondern auch als Theaterfamilie, dann ist das von einer Dramatik, die jeden Einzelnen von uns direkt betreffen kann.“ Wieder machte Hendel eine kurze Pause, in die bereits aufkeimendes Gemurmel sickerte. „Irgendjemand, irgendein verwirrter Mensch, ein Täter, wie es die Polizei ausdrückt, hat sich in unsere Familie geschlichen und ein wertvolles Mitglied herausgerissen“, fuhr er fort und tupfte sich mit dem Taschentuch erneut Tränen aus den Augen. „Der Herr Kommissar“, jetzt zeigte er auf Manzetti, „hat mir soeben mitgeteilt, dass jemand unsere Carolin getötet hat.“
    Einem spitzen Schrei aus Richtung des Tresens folgte absolute Stille. Pures Entsetzen erfüllte den gesamten Raum bis in den letzten Winkel, und man hätte sprichwörtlich die Stecknadel fallen hören. Manzetti konnte nun erkennen, dass die Theatermenschen doch Pietät besaßen, denn es dauerte Minuten, bis wieder verhaltene Gespräche an sein Ohr drangen.
    „Wie lange war Carolin Reinhard schon hier?“ Manzetti fragte das erst, als er den Eindruck gewonnen hatte, dass der Intendant sich wieder im Griff hatte.
    „Seit dieser Spielsaison. Sie studierte noch in Berlin.“
    „Und hatte trotzdem bei den Symphonikern ein Engagement?“
    „Das dürfen Sie nicht mit Ihrer Welt vergleichen, Herr Manzetti. Ihr Grundstudium hatte Carolin bereits absolviert. Aber sie wollte noch weiterkommen und hat daher Kurse bei anderen Professoren an der Hochschule für Musik Hans Eisler in Berlin belegt. Als Musiker studiert man quasi sein ganzes Leben.“
    „Wie bei uns, Herr Hendel. Da unterscheiden wir uns nicht. Nur nennen wir es anders.“
    „Gut. Sie müssen verstehen, dass meine Trauer sehr tief sitzt, denn ich hatte eine sehr enge Beziehung zu Carolin.“ Die Stimme des Intendanten klang zittrig.
    Manzetti unterbrach ihn nicht, obwohl er nach dieser Äußerung am liebsten drei Fragen auf einmal gestellt hätte.
    „Carolin war die Tochter einer alten Freundin, mit der ich gemeinsam das Fach Oboe belegt hatte. Das ist zwar schon einige Jahre her, aber wir Musiker sind eine große Familie, die immer wieder zusammenfindet.“
    „Sie sind auch Musiker?“ Manzetti hatte bislang geglaubt, Hendel sei Schauspieler gewesen, wie einige seiner Vorgänger auch.
    „Ja. Mit Leib und Seele. Das hier ist meine Welt. Dafür lebe ich.“ Hendel zeigte auf die vielen Bilder an den Wänden, die teilweise ein beträchtliches Alter hatten. Es waren Schnappschüsse von Theateraufführungen und Konzerten, sowie Porträts von Darstellern und Solisten mit Signatur. „Ich hoffe“, sagte er dann, „dass Sie uns die Ehre erweisen, mit uns zu frühstücken. Ich glaube, das können wir jetzt gebrauchen. Hier gibt es ein ausgezeichnetes italienisches Frühstück. Das mögen Sie doch bestimmt, Herr Manzetti?“
    „Das schon“, entgegnete Manzetti bemüht freundlich, obwohl ihm solche Anspielungen auf seinen Namen immer gehörig auf die Nerven gingen. „Ich esse sehr gerne italienisch. Vielleicht auch deshalb, weil es für mich genauso fremd ist, wie für Sie.“
    „Sind Sie etwa gar kein Italiener?“, wollte Frau Hofmann erstaunt wissen.
    Nach einem kurzen Moment, in dem Manzetti abwog, ob er ausführlich oder nur mit einem Satz auf seine Herkunft eingehen solle, antwortete er: „Nur ein klein wenig. Meine Mutter ist Italienerin, und mein Vater war deutscher Diplomat in Rom. Nach der Trennung meiner Eltern bin ich in Brandenburg aufgewachsen und lebe noch immer hier. Den Nachnamen habe ich von meiner Mutter, was unschwer zu hören ist.“ Nach einer weiteren Pause fügte er noch an: „Mein Umzug von San Gimignano nach Brandenburg liegt aber schon
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