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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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einem zum anderen. Da war ein jung wirkender, kleiner Mann, sportliche Figur, mit langem, dunklem Pferdeschwanz. Manzetti erkannte ihn sofort wieder. Es war ein Hornist der Symphoniker. Neben ihm stand ein ebenfalls schlanker Mann. Er hatte auch schwarze Haare, trug allerdings keinen Zopf, aber dafür setzte sich bei ihm die Haarfarbe über die Kleidung bis zu den Schuhen fort. Es war einer der Fagottisten, den Manzetti sonst nie so dicht bei einem Hornisten gesehen hatte. Jedenfalls nicht während der Konzerte, denn da saß der Fagottmann viel weiter rechts im Orchester, in der Gruppe der Holzbläser.
    Und dann passierte etwas Unglaubliches. Manzetti sah zwischen den beiden Musikern ein weiteres Gesicht, das in Wirklichkeit aber gar nicht da war. Er kniff die Augen kräftig zusammen, und als er sie wieder öffnete, sah er erneut das Gesicht einer jungen Frau. Er sah ihre langen, blonden Haare, ihre ebenmäßigen Züge, und er sah, wie sie die Trompete zum Mund führte, um ihren Einsatz auf das Zeichen des Dirigenten nicht zu verpassen.
    Vielleicht war es die Umgebung gewesen, die vor gut einer Stunde verhindert hatte, dass er sie gleich wiedererkannte? Vielleicht waren es aber auch Bremers nüchtern wissenschaftliche Worte, oder vielleicht hatte Manzetti nur einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen? Aber jetzt war er sich ganz sicher. Jetzt konnte er das ehemals unbekannte Gesicht der Toten eindeutig der Solotrompeterin der Brandenburger Symphoniker zuordnen, der er vor der Theaterklause auf eine ungewöhnliche Weise sehr nahe gekommen war.
    Mitten in seine Erkenntnis stürzte Sonja. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, zischelte sie mit bebender Stimme. „Du kannst mich doch nicht so vorführen. Ich weiß nicht, was ich mit den Leuten hier machen soll, und du bleibst wie vom Erdboden verschluckt. Nicht einmal dein Handy ist an.“
    Manzetti hörte zwar hin, konzentrierte sich aber wieder auf die anderen Personen um ihn herum. Da stand mitten im gut gefüllten Raum ein Lockenkopf, den er zumindest aus der Zeitung kannte, und so wusste er sofort, dass es sich bei dem stattlichen, schlanken Herrn um den Intendanten handelte. Neben ihm saß eine ältere Dame an einem runden Tisch, deren Gesicht zur Hälfte durch eine verzierte Säule verdeckt war. Sie tat nichts weiter, als mit den Fingern zu spielen und offensichtlich dem Intendanten zuzuhören. Manzettis Blick wanderte weiter nach links, zum dunklen Tresen, wo ein Mann an einem Kaffeeautomaten hantierte.
    „Hörst du mir überhaupt zu? Was soll das denn, Andrea?“, setzte Sonja unterdessen ihre glühende Schimpfkanonade unbeirrt fort und wurde sogar ein bisschen lauter, weil Manzetti, offenbar unbeeindruckt, auf den Tresen zuging. „Nennst du dein Verhalten vielleicht kollegial? Ich erwarte eine Erklärung …“ Plötzlich stockte sie mitten im Satz. Was war ihr da denn rausgerutscht? Als ihr Blick von Manzetti auf den Parkettfußboden und dann auf ihre schwarzen Schuhspitzen wechselte, lief ihr Hals bereits rot an. Das war doch nicht Oliver, ihr für jeden Streit geeigneter Lebensgefährte. Das hier war Hauptkommissar Manzetti, ihr Chef.
    Der war inzwischen am Tresen angekommen, nahm einen Bierdeckel und drehte den zwischen seinen dicken Fingern. „Sind Sie hier der Wirt?“, fragte er den Mann an der Kaffeemaschine und hoffte, dass der die Frage zwischen all dem Dampfen und Zischen verstanden hatte.
    „Wenn Sie der Bulle sind, der mich ...“, der Mann sah demonstrativ auf seine Armbanduhr, „mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hat?“ Als er den Arm wieder runternahm, lächelte er breit und stellte eine Tasse vor Manzetti hin. „Ein doppelter Espresso. Ist doch richtig? Hat übrigens Ihre hübsche Kollegin für Sie bestellt.“ Er nickte Sonja vertraut zu. „Silbermann. Elliott Silbermann. Eigentlich müsste ich Goldmann heißen, aber meine Großmutter hat mich zur Bescheidenheit erzogen. Und ja, ich bin der Inhaber dieses schönen Lokals.“ Dabei breitete er die Arme aus und strahlte, ganz so, als gehöre ihm die Welt zu dieser frühen Stunde ganz allein.
    „Ich heiße Manzetti. Und wie Ihnen meine Kollegin sicherlich schon mitgeteilt hat, leite ich die Ermittlungen hier.“ Ohne den Gastwirt oder Sonja anzusehen, nahm sich Manzetti zwei Tüten Zucker, kippte den Inhalt vorsichtig auf die Crema und wartete, bis die Zuckerkristalle gesunken waren, worauf sich die Schaumschicht wieder schloss.
    „Von Kaffee scheinen Sie etwas
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