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Haus des Todes

Haus des Todes

Titel: Haus des Todes
Autoren: P Cleave
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hat. Der Regen kommt und geht  – eben gießt es noch in Strömen, und dann hört es schon wieder auf.
    Caleb hat bis zu diesem Tag keine Seniorensiedlung betreten. Es gab keinen Grund dafür. Seine Eltern haben zwar fast die letzten zehn Jahre ihres Lebens in so einer Einrichtung verbracht, doch er hat sie nie besucht, und zu seinen Tanten und Onkeln hat er keinen Kontakt mehr. Und seine Großeltern  – tja, die eine Hälfte starb bereits vor seiner Geburt und die andere kurz danach. Die Seniorensiedlung wirkt genau wie das, was sie ist  – eine Warteschleife für alte Menschen, auf dem Weg von dieser Welt in die nächste. Alle Häuser bestehen aus Backstein, haben Fensterrahmen aus Aluminium und sind gut isoliert. Im Winter sind sie zwar schön warm, doch im Sommer
herrscht im Innern eine Bullenhitze; sie sehen alle gleich aus, und für ein paar Minuten hat Caleb Mühe, das richtige zu finden. Früher dachte er, Lara und er würden am Ende ihrer Tage ebenfalls in so einer Anlage wohnen. Weil ihre Kinder es satthätten, sich um sie zu kümmern, und sie in ein Heim stecken würden. Dort würden sie dann zusammen alt werden, während ihnen vor dem Tag graute, an dem einer von ihnen krank würde und Komplikationen aufträten  – eine Lungenentzündung oder irgendeine Infektion  – und es an der Zeit wäre, einander Adieu zu sagen.
    Schließlich hat Caleb das richtige Haus gefunden. Hinter den Fenstern brennt Licht. Er ist nervös. Er klemmt sich das Bier unter den Arm und klopft an die Tür. Im Innern kann er einen Fernseher laufen hören, sonst nichts.
    Er klopft erneut. »Albert?«
    Nichts. Er läuft um das Haus herum und kann durch einen Spalt in den Vorhängen einen Blick auf das Wohnzimmer erhaschen. Albert hat das Gesicht von ihm abgewandt und schaut auf den Fernseher. Offensichtlich gibt es heutzutage nur noch Realityshows. Caleb fragt sich, ob sich sein eigenes Leben für eine Realityshow eignen würde. Wahrscheinlich nicht. Es wäre  – ihm fällt kein besseres Wort ein  – zu real . Albert sitzt auf einem Sofa mit Blümchenmuster. Neben ihm steht ein Gerät, das aussieht wie ein Lufttrockner. Von dem Kasten führt ein durchsichtiger Schlauch zu Albert und versorgt ihn mit Sauerstoff.
    Caleb klopft an die Fensterscheibe.

    Albert zuckt ein wenig zusammen, dann dreht er sich in die Richtung des Geräuschs. Offenbar kann er nicht sehen, was sich hinter dem Fenster befindet, also tippt Caleb erneut gegen die Scheibe und geht dann wieder zur Tür. Er klopft und wartet, und ein paar Sekunden später wird ihm geöffnet.
    »Ja?«
    »Albert McFarlane?«, fragt Caleb.
    »Ja, der bin ich«, antwortet Albert. Er hat eine Glatze, und seine Ohren stehen ein wenig ab, denn der Sauerstoffschlauch, der in seiner geröteten, wunden Nase steckt, läuft über sie hinweg nach hinten. Er keucht beim Sprechen, ja, es strengt ihn so sehr an, dass er heftig schnauft. Er legt einen Finger auf den Steg seiner Brille und schiebt sie näher an seine Augäpfel, so dicht, dass die Gläser sie eigentlich berühren müssten. Er kneift die Augen zusammen, während er sich auf die jetzt vergrößert erscheinende Umgebung konzentriert.
    »Ich heiße Caleb Cole«, sagt Caleb, »erinnern Sie sich noch an mich?«
    »An Sie erinnern?« Albert beugt sich vor und nimmt ihn genauer in Augenschein. »Bist du eines meiner Enkelkinder?«
    Caleb schüttelt den Kopf. »Nein. Dürfte ich vielleicht reinkommen?«
    »Wollen Sie mir irgendwas andrehen, mein Sohn?«
    Caleb hält das Bier in die Höhe. »Nein. Ich möchte nur ein Pläuschchen mit Ihnen halten«, sagt er in der Annahme, dass Albert diesen Ausdruck mag.

    »Hmh, ja, hört sich ziemlich gut an, mein Sohn. Ich kann mich zwar immer noch nicht an Sie erinnern. Und Bier trinke ich auch nicht mehr. Anweisung meines Arztes. Aber was soll’s, ich hab ja sonst nichts zu tun, sicher, kommen Sie rein.«
    Albert macht einen Schritt zur Seite, und Caleb tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Alberts Klamotten hängen an seinem Körper herab wie Wäsche von einer Leine, und er schielt, als wollte er an dem grauen Star vorbeischauen, der sein Sehvermögen trübt. Er wirkt angeschlagen. Caleb weiß, wie Menschen mit Krebs aussehen, nämlich so wie Albert.
    »Nehmen Sie Platz«, sagt Albert. »Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?«
    »Gerne, danke«, sagt Caleb, stellt das Bier auf dem Couchtisch ab und versucht, später daran zu denken, es wieder mitzunehmen, denn Albert möchte nichts
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