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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition)
Autoren: Florian Tietgen
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hätte er mich schon erwartet. Den Schal hatte er nicht mitgebracht, stattdessen bat er mich hinein.
    »Wenn man etwas vergisst, möchte man wiederkommen«, sagte er lächelnd, nachdem er seine Wohnungstür hinter mir geschlossen hatte. Ich hängte meinen Dufflecoat an die Garderobe, stopfte den Schal gleich in den Ärmel, um ihn nicht erneut zu vergessen, wenn ich ginge.
    Zum ersten Mal sah ich ihn mit den Augen der Liebe an, die ich seit heute Morgen in mir getragen hatte, zum ersten Mal mit dem Gefühl, welches mir erst auf dem Weg zum Theater so richtig bewusst geworden war: Der Sicherheit, wir gehören zusammen.
    Er trug nur ein Unterhemd zu seinen Jeans. Die Tolle über seiner Stirn war leicht zerzaust, als hätte er sich am Morgen nicht darum gekümmert. Wie selbstverständlich ging er in die Küche, setzte den Kessel auf den Kohleherd und füllte Bohnen in die Kaffeemühle. Ich holte, als wäre ich schon dort zu Hause, das Geschirr aus dem Küchenschrank und stellte es auf den Tisch und legte meine Einkäufe dazu.
    »Und jemand, der Essen mitbringt, möchte bleiben«, ergänzte er.
    »Am liebsten für immer.«
    »Dann würden selbst meine Nachbarn misstrauisch. – Möchtest du lieber Tee?«
    »Gewohnheit«, sagte ich.
    Darius stellte die Kaffeemühle zurück und holte stattdessen ein Tee-Ei aus einer Schublade. »Schön.«
    Wir aßen, tranken Tee, und mussten immer wieder grinsen, wenn wir uns ansahen. Wir sagten nichts, wirklich gar nichts, und fühlten uns trotzdem wohl.
    Nachdem wir den Tisch abgeräumt und das Geschirr gemeinsam abgewaschen hatten, spielten wir Halma. So saßen wir gemeinsam auf dem Sofa, spielten, lachten, gewannen, verloren und genossen die Zeit, in der nur unsere Knie sich berührten. Ich dachte nicht darüber nach, ob ich bliebe und ob wir wieder Sex hätten. Es war so, wie es sein sollte, aber nicht selbstverständlich war. Wir konnten miteinander spielen, uns in den Arm nehmen, durchs Haar streicheln, uns küssen, wann immer uns danach war – ohne Scham, ohne schlechtes Gewissen. Das Spiel geriet in den Hintergrund, die Steine blieben liegen, die Umarmungen und Küsse wurden länger und Darius schob seine Hand unter mein Hemd, streichelte meinen Bauch.
    »Du hast dich heute geärgert.«
    »Nur ein bisschen«, sagte ich erstaunt. »Woher weißt du das?«
    Er drückte mich auf das Sofa, setzte sich an dessen Rand, sodass ich lag und er mein Hemd hochschieben konnte. Dann strich er mit beiden Händen über meinen Bauch.
    »Fritz, der junge Beleuchter, scharwenzelte den ganzen Tag um dich herum, als hätte er nichts zu tun. Sein Meister rief ihn immer wieder, dann verschwand er für einige Zeit, aber sobald er es einrichten konnte, begab er sich wieder in deine Nähe. Du hast so getan, als bemerktest du ihn nicht.«
    Ich fühlte mich wie hypnotisiert, dämmernd genoss ich Darius’ warme Hände, seine Stimme, mit der er mir erzählte, was ich am Tag erlebt hatte.
    »Das stimmt«, sagte ich träge, »aber darüber habe ich mich nicht geärgert.«
    »Dein Chef hat ihn registriert«, fuhr Darius, ohne auf die Unterbrechung einzugehen fort. »Und er hat das dunkle Brillengestell auf die Stirn geschoben, dich angeblinzelt und die Hände über dem Tisch gefaltet wie zum Gebet. Seine Fliege hat dabei über dem Adamsapfel vibriert. Er hat dich gefragt, was zwischen euch liefe und dir gedroht: Was du in deiner Freizeit machtest, ginge ihn nichts an. Dein überflüssiges Bekenntnis neulich hätte er nicht gehört, und wenn du unbedingt draußen am Platz jemanden aufgabeln müsstest, übersähe er es. Nicht aber würde er tolerieren, wenn du dich an Lehrlingen und Kollegen vergriffest.«
    »Ich …« Ich stockte, suchte nach einer Rechtfertigung, warum ich mich nicht gewehrt habe, sah Darius in die Augen, wartete … »Mein Chef fuhr fahrig mit der Hand durch die Luft und schob die Brille wieder vor die Augen. Ich wollte ihm sagen, er müsse sich keine Sorgen machen, ich sei es nicht, der …«
    Darius legte mir den Finger auf die Lippen. »Manchmal ist es besser, den Mund zu halten, egal, wie ungerecht einem etwas erscheint.«
    »Darin war ich noch nie gut.«
    »Ich weiß«, sagte Darius, streichelte wieder meinen Bauch, ganz leicht, nur mit den Fingerkuppen. »Doch Gott sei Dank warst du viel zu glücklich, um dir die Laune verderben zu lassen.«
    Ich musste grinsen, hielt seine Hand fest, sah ihm ins Gesicht. »Du bist ganz schön eingebildet.« Dabei hatte er recht. Die Handbewegung hatte
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