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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition)
Autoren: Florian Tietgen
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mir die gedachte Erwiderung abgeschnitten, ich mich wieder über meine Arbeit gebeugt, bis Fritz das nächste Mal an meinem Tisch stand. Er sagte nie etwas, wagte nicht einmal den Ansatz eines Gesprächs. Ich hatte versucht mich zu konzentrieren, während ich ihn in meiner Nähe mehr spürte, als sah. Das war auch bis zu der deutlichen Bemerkung meines Chefs gut gegangen. Fritz’ unbeholfene Annäherung hatte mich eher amüsiert, seine Mutlosigkeit erschreckt. Für Menschen wie ihn musste die Selbsterkenntnis so grausam sein wie das unsinnige Gesetz, das verbot, was nicht zu verbieten war. Menschen wie er besäßen nie den Mut, sich offen darüber zu stellen und zu kämpfen.
    »Und du bist ungerecht.« Darius lächelte, ließ die festgehaltene Hand in meiner, sah mich nur an. »Du bist zwar mutig, aber auch du hast manchmal Angst. Und auch du möchtest nicht ins Gefängnis.«
    »Woher weißt du das alles?« Natürlich spukte das Gefängnis als Damoklesschwert auch in meinen Gedanken, ich war nie ein Held.
    Dieses Mal ließ Darius zu, dass ich mich aufrichtete und auf den Ellenbogen abstützte. »Woher weißt du, was ich fühle, was ich erlebt habe – so genau, als hättest du mich den ganzen Tag beobachtet?« Es war merkwürdig, wie ruhig ich war, kein bisschen verängstigt oder erschreckt. Es wunderte mich, was Darius über meinen Tag erzählte, ich konnte es mir nicht erklären, aber dieses Gefühl blieb zu dumpf und neblig hinter dem wieder aufkeimenden Ärger über Fritz, um das Geschehen infrage zu stellen.
    »Dein Körper erzählt es mir.«
    »So ein Verräter«, sagte ich lachend. Es war mir nicht unangenehm, was Darius alles wusste, ich schämte mich so wenig wie beim Sex, es war nur ungewohnt.
    »Unsere Körper erzählen all unsere Geschichten«, erklärte Darius. »Und wenn wir sie berühren, hören wir ihnen zu. Man muss nur lernen, sie auch zu verstehen.«
    »Oh Gott, dann möchte ich nicht wissen, was mein Körper dir gestern alles erzählt hat.« Ich schwankte zwischen Neugier und Flucht. Es war schön und gemütlich, auf diesem Sofa zu liegen, Darius neben mir auf der Kante, die eine Hand immer noch in meiner, die andere noch immer auf meinem Bauch. Mein Hemd nach oben geschoben, lauschten Darius’ Fingerkuppen den Geschichten meiner Haut, die ich nicht auswählen konnte. Ich hatte keine Kontrolle darüber, was mein Körper erzählte. Liebe ist Kontrollverlust. Muss es für uns Homosexuelle schon deshalb sein, weil wir mit jedem Akt ein Risiko eingehen. Oder zwingt uns die ständige Bedrohung, die Kontrolle nie so aufgeben zu können, wie es die Liebe verdient?
    »Kann das jeder?«
    »Jeder kann es lernen.« Er stand auf, ging zum Ofen, um Briketts nachzulegen, fragte, ob er noch Wasser aufsetzen solle, was ich verneinte. Ich blieb liegen, zog nur mein Hemd wieder hinunter.
    »Bei dir macht es mir ja nichts aus«, sagte ich laut, während er mit dem Schürhaken in der Asche des Herds wühlte, »aber wenn ich mir vorstelle, jeder Unbekannte, für den ich am Gärtnerplatz mal …«
    »Pscht.« Ein hastiger, scharfer Blick trifft mich.
    »… finde ich es schon beängstigend«, fuhr ich leiser fort.
    Darius kam zurück, den Haken noch in der Hand, sein Blick immer noch etwas angespannt, blieb er vor mir stehen. »Manchmal bist du allerdings zu wenig ängstlich«, sagte er fast flüsternd. »Wände sind nie so dick, dass man dich in den anderen Wohnungen nicht verstehen kann, wenn du so brüllst.«
    Erst jetzt kam der Schreck in mir an. Darius konnte also auch wütend oder gereizt sein. Gerade noch war er mir übermenschlich erschienen. Ich setzte mich auf, sah an ihm vorbei und murmelte »Entschuldigung«.
    Darius ging in die Kochecke zurück, ich folgte ihm. »Schon gut«, sagte er. »Ich habe eine eigene Wohnung, in die niemand zu schauen hat und in der ich mich frei bewegen kann. Verglichen mit vielen anderen, so wie Fritz, habe ich es richtig gut. Aber manchmal habe auch ich Angst, sie erwischen mich. Dann mache ich mir bei jedem Besuch Gedanken darüber, was die Nachbarn denken könnten.«
    »Wenn dein Körper davon gestern erzählt hat, habe ich es nicht gehört.«
    Er bückte sich und legte den Schürhaken unter dem Herd in eine Kiste. »Gestern hatte ich keine Angst.«
    Während er sich wieder setzte, überlegte ich, ob ich bleiben oder gehen sollte. Am Tag zuvor war das keine Frage, jetzt fühlte ich mich verunsichert, auch durch mich selbst, da ich zu laut gewesen war.
    »Es ist schön, wenn
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