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Hasstament

Hasstament

Titel: Hasstament
Autoren: Serdar Somuncu
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Einflüssen multikulturell. Deutschland ist seit Jahrhunderten eine multikulturelle Gesellschaft. Wer sich dieser Tatsache versperrt, der kennt die deutsche Realität nicht.
    Wenn wir anfangen könnten, von diesem Punkt aus Integrationsarbeit zu leisten, wenn wir anfangen könnten zu sehen, dass Integration auch heißt, sich von seinen antiquierten Zerrbildern zu lösen, also etwa nicht gleichzeitig Integration zu verlangen und dann das Leitbild eines Deutschlands zu konservieren, das vor dem Zweiten Weltkrieg Deutschland war, müssten wir auch Fragen stellen, die wichtiger wären als z. B. warum die in Deutschland lebenden Türken so schlecht Deutsch sprechen? Sprechen sie denn nicht auch schlecht Türkisch? Hat es nicht auch etwas damit zu tun, dass die in Deutschland lebenden Türken in einem Zwischenraum der Identitätsfindung hängen geblieben sind, weil es lange Jahre weder einen staatlichen Zuspruch gab noch eine Einladung sich zu integrieren?
    Jahrelang wurden die Leute doch eher abgewiesen, sie wurden ghettoisiert und das was daraus entstanden ist, ist das, was man heute dann gemeinhin als »Parallelgesellschaft« bezeichnet. Ein absurdes Wort, was auch überhaupt nicht der Realität entspricht. Die größte Parallelgesellschaft, die ich kenne, ist auf Mallorca und nennt sich Ballermann.
    Gibt es auch schon positive Vorbilder von MigrantInnen in den Medien? In den USA gibt es beispielsweise eine Diskussion darüber, ob Schauspieler wie Will Smith auch möglich gemacht haben, dass man sich einen schwarzen Präsidenten vorstellen kann.
    Somuncu: Das halte ich für Quatsch. Obama ist nicht schon ein guter Präsident, weil er ein schwarzer Präsident ist, das wäre positiver Rassismus. Um ein guter Präsident zu sein muss er erstmal gute Politik machen. Es macht ihn nicht glaubwürdiger, dass er eine dunkle Hautfarbe hat. So wie z. B. auch Cem Özdemir daran gemessen werden sollte, welche Politik er als Grünen-Vorsitzender macht, und nicht daran, was er ist und woher er stammt. Vor 20 Jahren war Tansu Çiller Präsidentin in der Türkei, also lange bevor hier mit Angela Merkel eine Frau Kanzlerin wurde. Aber sie war deswegen keine gute Präsidentin, nur weil sie eine Frau war.
    Weder das Geschlecht noch die ethnische Herkunft spielen eine Rolle dabei, wofür man steht. Und ich glaube auch nicht, dass Will Smith oder wer auch immer etwas mit Obamas Erfolg zu tun haben. Das hätte auch vor 20 Jahren passieren können, das sind Ereignisse, die auch etwas mit Zufall zu tun haben. Es hätte auch sein können, dass seinerzeit Al Gore die Wahl gewonnen hätte, dann hätte es heute Obama wahrscheinlich nicht gegeben.
    Ist der migrantische »Kanaken-Diskurs«, der durch SchriftstellerInnen wie Osman Engin oder Feridun Zaimo ğ lu in den 90ern populär wurde, ein erfolgreiches Konzept der Selbstermächtigung innerhalb eines oft ethnisierenden oder rassistischen Diskurses?
    Somuncu: Er war mir eigentlich zuwider und ist mir eigentlich immer noch zuwider. In Folge dieser Entwicklung, die Feridun Zaimo ğ lu ja nicht erfunden hat, gab es schon weit vorher den Ansatz dieser Auseinandersetzung. Ob das nun Filme wie »40 Quadratmeter Deutschland« waren oder Kabarettgruppen wie Knobibonbon oder ob es Günter Wallraffs »Ganz unten« war. Viele haben auch vor Zaimo ğ lu schon um Annäherung zwischen beiden Kulturen gekämpft und dabei auch Fehler gemacht. Manchmal war es aus einer sehr deutschen Perspektive, manchmal sehr aus einer türkischen, irgendwann fing es an, sich zu vermischen und Teil einer eigenen Kultur zu werden.
    Mir war das wie gesagt zuwider, denn dieser Hype, der immer darum entstand, wenn man die angeblich positiven Aspekte der Annäherung entdeckte, diese Labels, die dann vergeben wurden, wie etwa »Ethno« oder »Kanak-Attak«, fand ich sehr anstrengend, weil ich eigentlich nie wusste, was das eigentlich sein soll, aber auch gespürt habe, dass das Label irgendwie nicht funktioniert. Es hat lediglich einer eigentlich sehr undefinierbaren Sache erstmal Heimat gegeben. Und auf diese Welle haben sich sehr viele Leute dann draufgesetzt.
    Kaya Yanar z. B. hat diese Ambivalenz perfekt verkörpert, obwohl das, was bei ihm dahinterstand, gar nicht so ambivalent war, denn Kaya ist nicht der Prototyp des Deutsch-Türken. Er spielt eine Rolle, die Abbild einer Sache ist, die er eher aus dem Fernsehen kennt. Bei Feridun dagegen war es anfänglich ein wesentlich intelligenterer Ansatz, aber letztendlich war es genauso
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